Martin Krauss

Wir neutralen Beobachter

Der Antiziganismus weist eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zum Antisemitismus auf

von Martin Krauss  03.01.2020 10:33 Uhr

Martin Krauss Foto: Stephan Pramme

Der Antiziganismus weist eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zum Antisemitismus auf

von Martin Krauss  03.01.2020 10:33 Uhr

Erich Schneeberger drückte es jüngst so aus: »Immer, wenn man unsere jüdischen Mitbürger angreift, ist hinterher meistens unsere Community dran.« Schneeberger ist Vorsitzender des bayerischen Verbands der Sinti und Roma. Den Zusammenhang, den er beschreibt, gibt es, auch wenn er nicht immer augenfällig ist.

Jüngst etwa gab es Krach um eine Sat1-Dokumentation unter dem Titel Roma: Ein Volk zwischen Armut und Angeberei. Der Sender reagierte auf Kritik empört: Es ginge da doch um allerlei Positives, nur eben auch um »kriminelle Machenschaften einzelner Großfamilien«. Das sei journalistisch sauber und ausgewogen.

LOGIK Man möge bitte für einen ganz kurzen Moment einmal anstelle von »Roma« das Wort »Juden« einsetzen. Käme man bei Sat1 auf die Idee, »Ein Volk zwischen Unterdrückung und Schacher« zu schreiben? In der Logik, in der sie sich über Roma äußern, läge es zumindest. Und die Perfidie dürfte dann erkennbarer sein.

Beschweren sich die »reichen Juden« oder die »angeberischen Zigeuner«, dann sind sie »Betroffene«, die ja nicht »neutral« urteilen können.

Der Antiziganismus weist tatsächlich eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zum Antisemitismus auf. Wenn ein Schwarzer Rassismus beklagt oder eine Frau sich über Sexismus beschwert, attestiert die Gesellschaft denen mittlerweile eine gewisse Zuständigkeit.

Bei Sinti, Roma und Juden fehlt das. Da ist dann gerne von »Überempfindlichkeit« die Rede. Beschweren sich die »reichen Juden« oder die »angeberischen Zigeuner«, dann sind sie »Betroffene«, die ja nicht »neutral« urteilen können. Als überparteiliche Gutachter melden sich dann hiesige Experten: deutsch, christlich und in keine Richtung versippt.

STRAFANZEIGE Was Sat1 angeht, prüft der Zentralrat der Sinti und Roma derzeit eine Strafanzeige. Wohl zu Recht, aber das Problem ist: Dann entscheiden wieder »neutrale Experten« darüber, ob man sich von der Behauptung, man gehöre zu einem Volk der Angeber oder einem der Schacherer, beleidigt fühlen darf. Verliert der Zentralrat, geht die Hetze weiter. Gewinnt er, wird geraunt, man dürfe wohl nicht mehr alles sagen in diesem Land.

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