Kommentar

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Mascha Malburg Foto: Marco Limberg

Es ist kaum auszumalen, was die Angehörigen der verbliebenen Geiseln in diesen Tagen durchstehen: In Doha, Jerusalem, Gaza und Washington diskutieren ihnen fremde Menschen abgeschirmt darüber, ob ihre Kinder, Geschwister, Eltern, Großeltern nach über einem Jahr in Geiselhaft nun endlich zu ihnen zurückkehren dürfen. 33 Geiseln könnten schon in der ersten Phase dieses Deals freikommen. Werden ihre Liebsten darunter sein? Sind sie verletzt, vergewaltigt, traumatisiert, entstellt? Sind sie am Leben? Oder können sie zumindest ihre Leichen begraben?

Die Ungewissheit, das Bangen, mit dem die Hamas ihren Terror auch in den Köpfen, Herzen und Mägen der Angehörigen fortführt, ist so heftig wie nie. Wer sich einmal wirklich hineinversetzt in dieses Leid, der versteht, dass dieser Deal jetzt besiegelt werden muss. Auch wenn der Preis dafür – die Freilassung von fast 1000 palästinensischen Häftlingen, darunter etliche Terroristen, die bereit sind, sofort wieder die Waffen in die Hand zu nehmen und das Massaker zu wiederholen – schmerzlich hoch ist.

Israel bleibt wohl keine Alternative, die Geiseln noch zu retten

Man kann die Forderung nach einem sofortigen Deal auch ganz nüchtern begründen: Israel bleibt wohl keine Alternative, die Geiseln noch zu retten.

Die Fakten sprechen für sich. Mehr als ein Jahr lang haben israelische Soldaten im Gazastreifen versucht, die am 7. Oktober Entführten aufzuspüren: Auf einer Fläche, die nicht einmal halb so groß ist wie Berlin – aber eben untertunnelt, unübersichtlich, dicht bewohnt von Zivilisten, die man verschonen wollte, von denen aber etliche bei den Kämpfen getötet worden sind.  Auch mehr als 800 israelische Soldaten haben ihr oft ganz junges Leben hier verloren. 

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In diesem blutigen Krieg ist es gerade einmal gelungen, vier Geiseln militärisch zu befreien. Drei wurden versehentlich erschossen, weil die Soldaten sie für gegnerische Kämpfer hielten. Weiter darauf zu pochen, dass man die übrigen, mehr als neunzig vielleicht noch lebenden Geiseln auf diesem Wege befreien könnte, ist illusorisch.

Das einzige, was bisher eine große Menge Menschen aus den Händen der Hamas retten konnte, war, mit den Terroristen zu verhandeln: Im November 2023 kamen 105 Menschen, traumatisiert, aber weitgehend gesund, frei. Natürlich, ohne den enormen militärischen Druck, den Israel damals im Gazastreifen aufgebaut hat, wäre die Hamas wohl kaum bereit gewesen, zu reden. Aber am Ende hat der Deal und nicht die Armee die Geiseln befreit.

Nun kann man sicherlich einwenden, dass dafür das zweite Kriegsziel, die Hamas zu schwächen, zumindest kurzfristig erreicht wurde - aber dass man sie langfristig nicht mehr fürchten müsste, ist zu bezweifeln. Glaubt man dem US-Außenminister Blinken, hat die Terrororganisation im Gazastreifen Anfang 2025 beinah wieder so viele Kämpfer rekrutiert, wie sie im Krieg verloren hat. Es stimmt, Yahya Sinwar ist tot. Aber wie viele junge Palästinenser leben derzeit unter katastrophalen Bedingungen in Zeltstädten und schwören Rache? Auch weltweit hat die Propagandastrategie der Hamas diesen Krieg genutzt, um etliche Menschen zu radikalisieren.

Ein Deal mit der Hamas – mit denjenigen, die am 7. Oktober 2023 das Grauen über Israel gebracht haben und diesen tödlichen Krieg ganz gezielt provoziert haben – ist sicherlich nicht das, was man den Angegriffenen wünscht. Aber er ist zurzeit das einzige, was in diese Sackgasse, in diesen Tunnel, ein wenig Licht wirft. Und die Hoffnung wiederbelebt, irgendwann einmal herauszufinden.

malburg@juedische-allgemeine.de

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