Die Berichterstattung zur Geiselfreilassung vom Samstag war in Teilen ein einziges Desaster. Naiv gingen nicht wenige deutsche Journalisten der Inszenierung der Hamas auf den Leim. Es drängte sich der Eindruck auf, dass selbst maßgebliche Medien noch nichts von Quellenkritik gehört haben. Eine einfache Plausibilitätsprüfung fand vor der ungeprüften Weitergabe von Meldungen offensichtlich nicht statt.
Das ZDF meldete: »Vor der Übergabe wurden die Soldatinnen in ihrer Uniform auf einer Bühne auf einem zentralen Platz in der Stadt Gaza einer wartenden Menschenmenge vorgeführt.« Bilder von der Entführung zeigen jedoch, dass die Soldatinnen in Zivilkleidung entführt wurden. Ein Blick in die israelische Presse, etwa bei den Kollegen von Times of Israel, hätte schnell aufgeklärt: »In olivfarbener Kleidung, die wie IDF-Uniformen aussehen sollte, und mit »Geschenktüten« der Hamas in der Hand wurden die jungen Frauen auf eine Bühne geführt, die mit englischen und arabischen Slogans wie ›Palästina: Der Sieg des unterdrückten Volkes gegen die Nazi-Zionisten‹ geschmückt war.«
Aber wozu auch recherchieren? Wozu reflektieren, dass die Hamas mit dem Military-Look der Geiseln optisch ein Äquivalent zu freigelassenen Massenmördern und Terroristen herstellen wollte? Nun ja, beim ZDF hat es ja auch geklappt. Chapeau!
Ein Einzelfall? Mitnichten: dpa und infolgedessen auch Tagesschau, Deutsche Welle, Spiegel und viele andere Qualitätsmedien berichteten dazu korrekt, dass die Frauen, ehe sie in Fahrzeuge des Roten Kreuzes steigen konnten, von der Hamas auf die Bühne geführt wurden und von dort aus winkten. Ganz objektivitätsheischend schrieben sie dann aber alle: »Ob die Frauen aus freien Stücken oder unter Drohungen handelten, war unklar.«
Wenn dieser Teil der deutschen Presse noch ein bisschen weiter räsoniert und schreibt, werden wir bald lesen dürfen, dass es womöglich gar keine Geiselnahme gab: Die angeblichen Geiseln wollten einfach ein verlängertes soziales Jahr in Gaza machen. Angesichts so viel Naivität kann man nur noch zynisch werden. Immerhin reagierte Die Welt auf einen Hinweis des Medien-Monitoring-Aktivisten Jörg Gehrke und strich diesen Satz in ihrer Berichterstattung.
Ja, Medien sollen nicht einfach alles glauben und auch Meldungen der IDF nicht ungeprüft oder eins zu eins übernehmen, denn Kriege werden nicht nur mit Waffen geführt. Aber wer einer Terrorgruppe auf den Leim geht, ihre Inszenierungen und Meldungen mehr als nur als Anregung zur Recherche nimmt, hat diesen asymmetrischen Konflikt nicht verstanden.
Ja, die IDF macht auch Fehler. Aber sie muss sich für ihr Handeln stets vor einer freien israelischen Presse und einer unabhängigen israelischen Justiz rechtfertigen. Wer indes die Hamas in Gaza kritisiert, ist über kurz oder lang tot. Eine freie Presse oder Ansätze eines Rechtsstaats existieren dort nicht. Es wird Zeit, dass dieser wesentliche Unterschied in den Redaktionen reflektiert wird. Das gehört zu jeder ernsthaften Quellenkritik.
Der Autor ist Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.