Volker Beck

WDR: Antisemitismus bewusst machen

Volker Beck Foto: Marco Limberg

Antisemit will sich heute – von ein paar verrückten Neonazis einmal abgesehen – niemand mehr nennen lassen. Umso schwieriger ist es, vorkommende antisemitische Stereotype zu benennen. Gilt doch der Vorwurf des Antisemitismus in Deutschland inzwischen häufig als schlimmer als der Antisemitismus selbst. Das zeigen jüngste Geschehnisse beim WDR.

»Die Juden zahlen ja doch jetzt nicht so eine Steuer«, erzählte eine Zuhörerin in einer WDR-Call-in-Sendung über die Frage einer Moscheesteuer. Studiogast und »Experte« Erkan Arikan wie Moderator Thomas Koch pflichteten der Fehlinformation nicht nur bei, sondern spannen faktenfrei das Gerücht über »die Juden und ihre Gemeinden« weiter – ohne Not. So mutmaßte der Experte, dass diese angebliche Privilegierung der Juden »aus unserer deutschen Historie« begründet sei und fantasierte über »große ausländische Spender jüdischen Glaubens«.

BESCHWERDE Auf eine Programmbeschwerde hin wiesen Experte Erkan Arikan wie auch die Leiterin von WDR5 alle Kritik von sich. Dem Vorschlag, auf die sachlichen Fehler und ihre Hintergründe in der Mediathek hinzuweisen, folgte der WDR nicht.

Erst auf eine erneute Programmbeschwerde hin half WDR-Intendant Tom Buhrow ab und gestand ein, dass die antisemitische Kolportage ein Verstoß gegen die Wahrheitsverpflichtung in den WDR-Programmgrundsätzen war – wenngleich das Problem erneut eher kleingeredet wird.

Auch Medien sollten mehr Mut zur Selbstreflexion haben.

Was offenbart der Vorfall? Dass es zweier Anläufe beim Sender bedurfte, um das Antisemitismus-Problem als solches anzuerkennen, zeigt, wie tief antisemitische Narrative in unserem Bewusstsein eingeschrieben sind. Erzählungen von reichen Juden (großen Spendern) und angeblichen Sonderrechten für Juden wegen der Schoa sind gängige Klischees. Deshalb fallen sie zuweilen noch nicht einmal auf, wenn man darauf hingewiesen wird.

Nicht der Antisemitismuskritiker ist das Problem, sondern die Tabuisierung der Kritik an den kulturell tief wurzelnden antisemitischen Klischees, Bildern und Geschichten. Hier sollten auch die Medien mehr Mut zur Selbstreflexion haben.

Der Autor ist Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) der Ruhr-Universität Bochum.

Kommentar

Shiri, mein Herz bricht für dich

Sarah Cohen-Fantl will nicht verzeihen, dass Shiri, Kfir und Ariel Bibas nicht gerettet wurden

von Sarah Cohen-Fantl  21.02.2025

Katrin Richter

Demokratie statt Lethargie

Wer nicht wählt, muss mit dem leben, was dann dabei herauskommt

von Katrin Richter  21.02.2025

Igor Mitchnik

Europa muss sich hinter die Ukraine stellen

Trump denkt nicht transatlantisch, sondern transaktional

von Igor Mitchnik  20.02.2025

Meinung

Kennen Sie Abed Hassan?

Vieles, was der Berliner sagt, ist bedenklich nah dran an Hamas-Propaganda.

von Susanne Stephan  19.02.2025

Glosse

Ein Hoch auf die Israelkritik

Der »Spiegel« hat mit dem indischen Essayisten Pankaj Mishra ein »erhellendes« Interview zum Nahostkonflikt geführt

von Michael Thaidigsmann  18.02.2025

Meinung

Wie das Ende eines Alptraums, der fünf Jahre gedauert hätte

Alon Ishay ist erleichtert, dass die Koalitionsgespräche der FPÖ vorerst gescheitert sind

von Alon Ishay  17.02.2025

Meinung

Was »Sensibilität« bei der Berlinale bedeutet

Das Film-Festival hat eigens FAQ zum Nahostkonflikt veröffentlicht und distanziert sich darin gleich von der Antisemitismus-Resolution des Bundestages

von Maria Ossowski  20.02.2025 Aktualisiert

Einspruch!

Holt sie aus der Hölle raus

Sabine Brandes fordert, alles dafür zu tun, um auch die letzten verbliebenen Geiseln zu retten

von Sabine Brandes  13.02.2025

Meinung

Kanye West und der grassierende Antisemitismus in den USA

Die neuesten judenfeindlichen Eskapaden des Rapstars sind symptomatisch für eine bedrohliche Diskursverschiebung, die von Donald Trump und Elon Musk befeuert wird

von Ruben Gerczikow  10.02.2025