Einspruch

Warschaus Verantwortung

Philipp Peyman Engel erinnert daran, dass sich die Frage nach Reparationen auch an Polen richtet

von Philipp Peyman Engel  20.10.2022 06:15 Uhr

Philipp Peyman Engel, Chef vom Dienst bei der Jüdischen Allgemeinen Foto: Marco Limberg

Philipp Peyman Engel erinnert daran, dass sich die Frage nach Reparationen auch an Polen richtet

von Philipp Peyman Engel  20.10.2022 06:15 Uhr

Auch nach dem Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock Anfang des Monats in Warschau bleibt es dabei: Die polnische Regierung gibt sich unnachgiebig und fordert von Berlin – wie schon seit Jahren – Reparationen in Billionenhöhe für die von Nazi-Deutschland verursachten materiellen Schäden.

Die Bundesregierung bekennt sich unterdessen weiter uneingeschränkt zu Deutschlands historischer Schuld – bleibt in der Sache aber hart und erteilt Entschädigungsforderungen unmissverständlich eine Absage.

Warschaus Erinnerungspolitik ist nach wie vor hochambivalent.

Tatsächlich gibt es jenseits aller möglicherweise auch innenpolitisch begründeten Motive vonseiten Polens belastbare Belege für die Überzeugung, dass Deutschland zwar mit Blick auf die Verbrechen während der NS-Zeit seiner moralischen Verantwortung nachgekommen ist, nicht aber vollends seiner finanziellen.

Zugleich jedoch muss Polen sich die Frage gefallen lassen, ob es seinerseits der historischen Verantwortung gerecht wurde – und zwar für seine jüdischen Bürger. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass jüdische Polen während der Schoa von ihren Landsleuten erpresst, ausgeraubt, an die deutschen Besatzer verraten oder direkt ermordet wurden.

Wirkliche Versöhnung kann es erst geben, wenn der gesamten Geschichte gedacht wird. In Berlin zuallererst, aber nicht zuletzt auch in Warschau.

Um es klar zu sagen: Das unermessliche Leid der Polen soll an dieser Stelle keineswegs gegen das unermessliche Leid der jüdischen Polen während der NS-Zeit ausgespielt werden. Doch Warschaus Erinnerungspolitik ist nach wie vor hochambivalent: Die nationalkonservative Regierungspartei PiS blendet systematisch aus, dass die Nachkommen von jüdischen Opfern polnischer Massaker wie etwa das in Jedwabne 1941 bis heute nicht entschädigt wurden.

Auch wenn Außenminister Zbigniew Rau und sein Regierungschef Mateusz Morawiecki es nicht gerne hören: Die Frage nach Reparationen richtet sich nicht nur an Deutschland, sondern auch an Polen. Wirkliche Versöhnung kann es erst geben, wenn der gesamten Geschichte gedacht wird. In Berlin zuallererst, aber nicht zuletzt auch in Warschau.

engel@juedische-allgemeine.de

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