Die USA wollen Gaza übernehmen und die Palästinenser nach Ägypten und Jordanien umverteilen, während der Küstenstreifen wieder aufgebaut und so zur »Riviera des Nahen Ostens« werden soll. Ob die Palästinenser dann zurückkehren könnten, ließ US-Präsident Donald Trump – in für ihn typischer Manier – offen.
Im ersten Moment klingt dieser Vorschlag irre. Imperialistisch. Undurchführbar. Er verstößt wohl gegen das Völkerrecht. Außerdem wollen weder Jordanien noch Ägypten die Palästinenser aufnehmen.
In jedem Fall lässt der Vorstoß den Rest der Welt toben. Vielleicht ist die Reaktion aber auch nur deswegen so lautstark, weil dadurch lange gehegte Illusionen zerstört werden? Diese Frage müssen sich all diejenigen stellen, die viel zu lange an sorgfältig gepflegten Überzeugungen festgehalten haben; sie stehen inzwischen vor einem riesigen Trümmerhaufen. Die Träume zur Zukunft des Nahen Ostens sind spätestens seit dem 7. Oktober 2023 auf dem harten Boden der Realität zerschellt.
Zu lange hielt sich der Glauben in westlichen Ländern, sie müssten die Palästinenser nur mithilfe des durch und durch korrupten Hilfswerks UNWRA ausreichend finanzieren, um eine Kultur der Anerkennung, des Miteinanders und des Respekts für Israel und Juden zu entwickeln. Während in Israel viele ernsthaft geglaubt haben, dass es für einen demokratischen Rechtsstaat langfristig möglich ist, Seite an Seite mit antidemokratischen, islamistischen, extremistischen und terroristischen Kräften leben zu können, ohne Verletzungen des Körpers und Narben an der Seele davon zu tragen. Sie haben geglaubt, ihre Gegner nicht konsequent bekämpfen zu müssen. Mit allem, was dazu nötig ist.
Auf palästinensischer Seite gibt es dagegen viele, die geglaubt haben, dass sie ein Friedensangebot Israels nach dem anderen ausschlagen und ihre Ziele stattdessen mit Gewalt und Terror erzwingen können, während Israel dies langmütig erträgt. Als Krönung hat die Hamas einen Krieg angezettelt, in dem sie Israel in der denkbar brutalsten Weise überfallen hat, während sie wohl nicht damit gerechnet hat, dass dies massive Reaktionen nach sich ziehen und drastische Konsequenzen haben würde.
Die Frage, ob sie einer Illusion angehangen haben, müssen sich auch all diejenigen stellen, die ernsthaft geglaubt haben, dass ein weiterer verlorener Krieg lediglich eine weitere Finanzierungsrunde zum Wiederaufbau nach sich ziehen würde, und dann einfach alles so weitergehen wird, wie bisher.
Die Israelis selbst standen schon oft vor zerstörten Hoffnungen. Konsterniert und desillusioniert. Etwa nach den gescheiterten Friedensverhandlungen von Camp David im Jahr 2000, als der damalige israelische Ministerpräsident Ehud Barak den Palästinensern einen eigenen Staat angeboten hatte - in der Westbank, in Gaza und in Ost-Jerusalem. Also genau das, was die Palästinensische Autonomiebehörde stets zu wollen vorgegeben hatte. Palästinenserführer Jassir Arafat verließ die Verhandlungen ohne Gegenangebot, um stattdessen die sorgfältig orchestrierte Zweite Intifada vom Zaun zu brechen.
Diese Ereignisse desillusionierten selbst große Teile der israelischen Linken und der Friedensbewegung. Denn was wollten die Palästinenser, wenn es kein eigener Staat an der Seite Israels war? Wollten sie vielleicht gar keine Koexistenz, wie dies Israels Rechte stets gepredigt hat? War das palästinensische Mantra vom Rückehrrecht vielleicht doch mehr als nur ein Verhandlungsgegenstand? Meinten sie das mit der Rückkehr vielleicht wirklich ernst? Und bedeutete das nicht automatisch die Vernichtung Israels?
Diese Befürchtungen wurden in den darauffolgenden Jahren zunehmend zur Gewissheit. Erst recht, nachdem Israel sich 2005 aus dem Gazastreifen zurückgezogen hatte und Ehud Olmert den Palästinensern 2008 noch einmal einen Vorschlag für einen eigenen Palästinenserstaat unterbreitete. Der Vorschlag ging noch etwas weiter als der aus dem Jahr 2000, wurde aber wieder abgelehnt. Wie alle anderen zuvor.
Doch es brauchte noch einige Gaza-Kriege und viele Tote, bis die Mehrheit der Israelis ihre Lektion am 7. Oktober 2023 wirklich gelernt hat. Auf brutale, mörderische Art und Weise. Sie haben nun wohl verstanden, dass es so nicht weitergehen kann.
Genug Menschen sind dem Hass der Palästinenser zum Opfer gefallen. Genug Juden sind von Terroristen in den Tod gerissen worden. Genug Raketen sind aus Gaza, Tag ein Tag aus, auf israelisches Gebiet geschossen worden - vor allem, nachdem Israel 2005 den Gazastreifen den Palästinensern überlassen hat. Dabei waren die Konsequenzen des Rückzugs so ernüchternd wie deprimierend.
Denn nachdem die islamistische Hamas 2006 an die Macht gewählt wurde, bewahrheitete sich, wovor Skeptiker immer gewarnt hatten: Die Terroristen nutzten die angebotene Chance nicht, um staatliche und wirtschaftliche Strukturen zu entwickeln, die den Menschen in Gaza ein besseres Leben versprachen. Sondern sie nutzten die finanzielle Alimentierung durch die westlichen Staaten, um den Gazastreifen zu befestigen, zu militarisieren und zu untertunneln, um ihn als paramilitärische Operationsbasis im Vernichtungskrieg gegen Israel zu nutzen.
Milliarden von Dollar und Euro kamen nicht wie von den Geldgebern beabsichtigt der Zivilbevölkerung zugute, sondern dienten den islamistischen Machthabern und ihren Helfershelfern dazu, die Bevölkerung zunehmend zu ideologisieren, zu radikalisieren und den Gazastreifen zu einer großflächigen Kampfzone aufzurüsten, in der auch zivile Einrichtungen wie Privathäuser, Moscheen, Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser als Teil militärischer Infrastruktur missbraucht wurden.
Die westlichen Geber, die all dies finanzierten, beruhigten sich selbst damit, dass mit dem Geld vor allem humanitäre Hilfe geleistet würde und schlugen alle Warnungen der Israelis über die wahre Verwendung der Mittel in den Wind. Sie schlossen die Augen vor dem Juden- und Israelhass, der mithilfe der UNWRA in den Schulen des Gazastreifens gelehrt wurde und ignorierten die Folgen, die der Hass zeitigte.
Fest steht, dass wohl kein anderes Land der Welt das Ausmaß an paramilitärischen und terroristischen Übergriffen ausgehalten hätte, denen Israel sich seit Jahren Tag für Tag ausgesetzt sieht, ohne gesellschaftlich zu kollabieren, sich zu radikalisieren oder einen Vernichtungskrieg gegen seine Gegner zu führen.
Statt aber eine klare Position gegen den Hass, gegen den Terror und gegen den Märtyrerkult der Palästinenser zu artikulieren und die finanzielle Unterstützung an klare Bedingungen zu knüpfen, verbarrikadierte sich vor allem Europa regelmäßig hinter überheblicher Besserwisserei und verblüffte ein ums andere Mal mit angeblich gut gemeinten, paternalistischen Ratschlägen an die Adresse Israels, die einem die Sprache verschlugen. Vor allem aber hielt man stur und ohne jeden Bezug zur nahöstlichen Realität an einer Zwei-Staaten-Lösung fest.
In dem naiven Glauben, dass ausgerechnet die palästinensische Führung, die in den letzten 100 Jahren in wechselnden Konstellationen jeden einzelnen Vorschlag für einen eigenen Staat abgelehnt hat, solange dies gleichzeitig die Anerkennung eines jüdischen Staates beinhaltet, und die seit Jahrzehnten eine »Rückkehr« in eine angebliche Heimat fordern, die es für die meisten so nie gab, und die Gewalt als legitimes Mittel zur Erreichung ihrer Ziele erachten, und deren Institutionen und Vertreter wahlweise islamistisch, propagandistisch, terroristisch, autoritär, totalitär, gewalttätig, korrupt oder alles zusammen sind, dass also ausgerechnet diese Palästinenser nach einem wundersamen Läuterungsprozess zu Friedensengeln mutieren und das unmögliche möglich machen.
Das heißt nicht, dass es für die Palästinenser keine Hoffnung auf eine eigene Staatlichkeit gibt. Denn selbstverständlich haben auch sie wie alle anderen Menschen auch ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Würde verdient. Und es heißt auch nicht, dass es keine Hoffnung auf Frieden gibt. Denn die gibt es. Wenn sie auch in weiter Ferne zu liegen scheint. Doch der bisherige Weg ist krachend gescheitert.
Und die bisherigen Visionen sind spätestens am 7. Oktober 2023 brutal zerstört worden. Die meisten Traumtänzer scheinen trotzdem zu glauben, dass in Gaza nach dem Verteidigungskrieg Israels alles so weitergehen kann wie bisher. Business as usual. Die internationale Gemeinschaft nimmt also ordentlich Geld in die Hand und baut Gaza wieder auf. Und dann wird alles gut?
Wohl kaum. Denn große Teile des Terror-Tunnelsystems sind weiter in Betrieb. Und im Gazastreifen gibt es immer noch massenhaft Sprengfallen, Raketen, Waffen und vieles mehr. Vor allem aber lebt die islamistische, judenfeindliche und antizionistische Ideologie.
Wie also soll es weitergehen? Bisher hat man Antworten vor allem von Israel verlangt. Als wären diejenigen, die sich aufgemacht haben, um die allumfassende Terrorinfrastruktur zu zerschlagen allein verantwortlich. Schuld sind nach dieser Logik nicht diejenigen, die ganz Gaza absichtlich und gezielt zu einer Kampfzone aufgerüstet haben und einen Krieg begonnen haben, in dem Zivilisten und Infrastruktur bewusst der Zerstörung preisgegeben wurden. Ja, sogar einkalkuliert und exakt zu diesem Zweck genutzt wurden.
Schuld ist nach dieser verdrehten Logik Israel, das sich verteidigt und sich aufgemacht hat, um dem islamistischen und terroristischen Spuk ein Ende zu setzen und seine Bevölkerung zu schützen. Was nicht bedeutet, dass Israel keinerlei Verantwortung trägt. Denn natürlich tut es das. Aber dem Land alleine nun den Schwarzen Peter für die Zukunft Gazas zuzuschieben, ist perfide.
Wie also soll es weitergehen? Was passiert mit Gaza? Und den Palästinensern? Und mit Israel? Und dem Nahen Osten? Der Vorschlag Trumps mag verrückt und undurchführbar erscheinen. Aber vielleicht braucht es radikale Vorschläge!
Vielleicht müssen lange gehegte Gewissheiten zerbrechen, bevor etwas Neues gedacht werden kann? Und vielleicht braucht es die vollständige Desillusionierung, bevor neue Visionen Wirklichkeit werden können. Und bevor neue Hoffnung gedeihen kann.
Der israelische Schriftsteller David Großmann jedenfalls schrieb: »Hoffnung ist ein Anker, der in eine Zukunft ausgeworfen wird, die heute noch nicht existiert.« Vielleicht hat er damit ja recht?
Der Autor ist Rechtsanwalt und Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen.