Die Staatsanwaltschaft Berlin hat Anklage gegen einen 98-jährigen Mann erhoben, der im Kriegsgefangenenlager »Stalag 365« der Wehrmacht das Töten unterstützt haben soll. Beihilfe zum grausamen Mord in 809 Fällen, heißt es in der Anklage.
Diese Anklage gegen einen Wehrmachtssoldaten, dem Mordhilfe an sowjetischen Kriegsgefangenen vorgeworfen wird, ist ein neuer Schritt in der Verfolgung von NS-Verbrechen. Seit dem vergangenen Jahr erkennen bundesdeutsche Ermittler endlich, dass auch das Sterbenlassen von Soldaten in Kriegsgefangenschaft als Mord zu werten ist.
rotarmisten Die Rotarmisten waren in den Lagern zusammengepfercht worden, sie starben an Hunger und Krankheiten auf grausamste Weise. Wehrmachtssoldaten standen auf Wachtürmen, sicherten das Lager ab und verhinderten die Flucht. In dem System der sogenannten Stammlager (»Stalags«) wurden nach Schätzungen von Historikern bis zu 3,3 Millionen sowjetische Gefangene getötet. Morde, die heute oftmals vergessen werden in der langen Liste der NS-Taten – und juristisch ungesühnt blieben.
Erst vor einem Jahrzehnt haben deutsche Strafverfolger erkannt, dass die »einfache Wachtätigkeit« in Konzentrationslagern, in denen systematisch gemordet wurde, eine Beihilfe zum Mord darstellt.
Erst vor einem Jahrzehnt haben deutsche Strafverfolger erkannt, dass die »einfache Wachtätigkeit« in Konzentrationslagern, in denen systematisch gemordet wurde, eine Beihilfe zum Mord darstellt. Die allermeisten Täter waren da freilich längst tot. Sie konnten ihr Leben in der Bundesrepublik ohne Angst vor Strafverfolgung führen.
staatsanwälte Inzwischen ist klar, dass das Morden in den Lagern der Nazis nicht nur durch Gaskammern und Genickschussanlagen betrieben wurde, sondern auch durch die Schaffung von »lebensfeindlichen Bedingungen«: Das Töten überließen die Deutschen auch Seuchen oder führten es durch Mangelernährung herbei. Und nun erkennen Staatsanwälte, dass auch in »Stalags« gemordet wurde.
Getreu der NS-Ideologie galten die Sowjetsoldaten als »Untermenschen«. Der Völkermord an den slawischen Völkern gehört heute zu den vergessenen Verbrechen der Deutschen im Osten Europas. Die viel zu späte juristische Auseinandersetzung mit den Morden an den Rotarmisten bietet zumindest einen Anlass, sich gesellschaftlich mit den Taten der einfachen Soldaten der Wehrmacht auseinanderzusetzen. Besser spät als nie.
Der Autor ist Investigativ-Journalist und arbeitet für den Norddeutschen Rundfunk.