Es war abzusehen, dass die mutige Entscheidung der Stadt Frankfurt, das geplante Konzert von Roger Waters in der Festhalle abzusagen, ein juristisches Nachspiel haben würde. Nicht abzusehen war jedoch, mit welch abenteuerlicher Begründung das Verwaltungsgericht das Auftrittsverbot verwerfen würde.
Waters habe einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf den Auftritt, argumentierten die Richter. Und das, obwohl auch sie anerkannten, dass sich der Künstler für seine Show »einer an die nationalsozialistische Herrschaft angelehnten Symbolik« bediene. Entscheidend sei jedoch allein, dass Waters mit seinem Auftritt nicht plane, NS-Verbrechen zu verherrlichen oder zu relativieren.
beeinträchtigung Die lapidare Schlussfolgerung: Eine »schwerwiegende Beeinträchtigung des Geltungs- und Achtungsanspruchs der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden« lasse sich »nicht zweifelsfrei feststellen«, die Kunstfreiheit sei »schrankenlos«.
Die Kunstfreiheit erlaubt in Deutschland so ziemlich alles, auch Antisemitismus.
Diese Begründung klingt seltsam vertraut. Mit ähnlichen Worten wurden vergangenes Jahr auf der documenta in Kassel antisemitische Kunstwerke bagatellisiert oder gar gerechtfertigt. 1985 verhinderten Ignatz Bubis und seine Mitstreiter eine Aufführung von Rainer Werner Fassbinders antisemitisch angehauchtem Theaterstück Der Müll, die Stadt und der Tod.
kritik Sie ernteten damals viel Kritik, denn: Die Kunstfreiheit erlaubt in Deutschland so ziemlich alles, auch Antisemitismus. Mit anderen Worten: Die Messlatte liegt so hoch, dass man bequem darunter durchlaufen kann. Niemand darf also Waters verbieten, in Frankfurt, wo in der Pogromnacht 1938 Juden misshandelt wurden, ein Schwein mit Davidstern aufsteigen zu lassen. Es ist etwas faul in Deutschland.
Dieses Urteil darf nicht einfach hingenommen werden. Die Stadt sollte Beschwerde dagegen einlegen, und am 28. Mai sollten möglichst viele Frankfurter zur Festhalle kommen, um Flagge zu zeigen – so, wie Ignatz Bubis und andere es 1985 getan haben. Sie sollten es im Namen der Menschenwürde tun. Denn die ist tatsächlich schrankenlos.
Der Autor ist geschäftsführender Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC).