Das Thema »Der Papst und die Schoa« kennt nur eine Gewissheit: Es wird Generationen dauern, bis eine nüchterne Faktenbeurteilung des Handelns von Pius XII. im Zweiten Weltkrieg möglich ist. Er habe nichts gewusst, sagen die einen – das stimme nicht, der Heilige Stuhl habe Informationen über die Massenmorde an Juden erhalten, die anderen. Aber die habe der Papst, fernab von Auschwitz, nicht überprüfen können, sagen die einen – und so fort.
Sinnvoller als Diskussionen ob, wie weit und weshalb der Papst zur Schoa geschwiegen hat, ist die Betrachtung von vier anderen Aspekten. Sie tragen zur Beurteilung der Frage bei, ob Eugenio Pacelli – Papst Pius XII. – den Kriterien für die seit Jahren von seinen zahlreichen Verehrern geforderten Heiligsprechung genügt.
Der polnische Papst Johannes Paul II. hat mehr Menschen heiliggesprochen als alle seine Vorgänger zusammen – trotz lautstarker Forderungen aber nicht Pius XII.
Möglicherweise lag dies daran, dass Pacelli geschwiegen hat, als die Nationalsozialisten in Polen mehrere tausend katholische Priester und Ordensleute ermordeten, darunter drei Bischöfe.
Möglicherweise lag es daran, dass er geschwiegen hat, als der Volksgerichtshof Priester zum Tode verurteilt hat, beispielsweise weil sie aufgrund des Beichtgeheimnisses NS-Gegner nicht denunzierten.
Doch als nach dem Krieg NS-Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt wurden, stellte Pacelli Gnadengesuche.
Zudem hat niemand mehr NS-Verbrecher vor der Justiz geschützt – beispielsweise durch die »Rattenlinie«. Für die Unterstützung Mengeles, Eichmanns, Barbies und anderer war Pacelli mindestens als Staatsoberhaupt des Vatikanstaates politisch verantwortlich.
Wer es für richtig hält, dass Eichmann letztlich doch noch vor Gericht gestellt wurde, kann nicht den Mann ehren, gar als Heiligen verehren wollen, dessen Vertraute dies - unter dessen Verantwortung - zunächst erfolgreich verhindert hatten.
Der Autor ist Historiker an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und forscht zu NS-Verbrechen und -Ideologien.