Seit Jahrzehnten versucht die CDU, die Umbenennung der Treitschkestraße im Berliner Stadtteil Steglitz zu verhindern. Dabei geht sie nun leider so weit, den antisemitischen Hetzer Heinrich von Treitschke zu verharmlosen. Kurz vor Weihnachten schrieb Claudia Wein – ausgerechnet die kirchenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus – die Anwohner der fraglichen Straße an und behauptete ernsthaft, die Ansichten sowie die historische Rolle Treitschkes seien »umstritten«.
Das ist atemberaubend unverschämt und ungefähr so, als würde eine deutsche Politikerin die Ansichten von Hamas oder Hisbollah als »umstritten« bezeichnen.
Natürlich weiß auch die Steglitzer CDU sehr genau, dass von Treitschke den Judenhass im Deutschland des späten 19. Jahrhunderts salonfähig und den Slogan »Die Juden sind unser Unglück« populär machte – und damit später als Stichwortgeber der Nationalsozialisten diente. Die Geschichtswissenschaft ist sich da einig. Dennoch schafft Wein es in ihrem zweiseitigen Schreiben nicht, auch nur ein einziges Mal zu erwähnen, was Treitschke eigentlich konkret vorgeworfen wird: Antisemitismus.
Einzelne Parteimitglieder versuchen, das Geschehene zu leugnen und Falschbehauptungen aufzustellen.
Warum vermeidet eine kirchenpolitische Sprecherin diesen Begriff im Zusammenhang mit Treitschke? Ich wüsste es gerne, doch Claudia Wein weigert sich seit über einer Woche, meine Presseanfragen für den »Tagesspiegel« zu beantworten. Sie möchte nicht einmal erklären, wie sie auf die Idee kam, Treitschkes Ansichten als »umstritten« zu verharmlosen. An wie viele Haushalte sie ihren Brief verschickte, verrät Wein ebenfalls nicht.
Noch schlimmer: Statt sich ernsthaft mit ihrem Tun auseinanderzusetzen, versuchen einzelne Mitglieder der Steglitzer CDU jetzt, das Geschehene zu leugnen und Falschbehauptungen aufzustellen.
Als Mensch, der selbst einen christlichen Hintergrund hat, muss ich es leider so deutlich formulieren: Teile der Steglitzer CDU begreifen das achte Gebot – nach jüdischer Zählung ist es das neunte – offenbar als Kann-Bestimmung.
Der Autor ist Redakteur beim »Tagesspiegel«.