Bei einem Gebetsabend der Zeugen Jehovas in Hamburg am 9. März richtete ein Attentäter mit einer Pistole des Modells Heckler & Koch P30 ein entsetzliches Blutbad an und ermordete sieben Menschen. Seine antisemitische und geschichtsrevisionistische Weltanschauung legte er – für alle Welt sichtbar – in einer pseudo-theologischen Abhandlung dar, die über diverse Online-Händler angeboten wurde.
Seine Hetzschrift erschien im selben Jahr, in dem er auch seinen Waffenschein beantragte, sie war online abrufbar, als ein anonymer Hinweis gegen ihn bei der Waffenbehörde einging.
Theologie Der Attentäter kommt im Laufe seines Textes mehrfach auf das Judentum und Juden zu sprechen. Er reproduziert dabei die Elemente antijudaistischer Theologien, denen zufolge das Erscheinen Jesu einen Bruch Gottes mit dem Judentum darstelle. Die Aufgabe Jesu sei es gewesen, »die Juden« zurückzugewinnen. Er behauptet, der bestialische Tod und die Verspottung Jesu durch »die Juden« habe Jesus wütend gemacht.
Die Verfolgung von Juden durch die Nazis sei ein Akt des Himmels gewesen, schrieb der Attentäter in seinem Buch.
Der Antisemitismus des Täters äußert sich allerdings nicht nur in der Reproduktion allzu bekannter antijudaistischer Motive, sondern überdeutlich auch in seinem Geschichtsrevisionismus: Die Verfolgung von Juden durch die Nazis sei ein Akt des Himmels gewesen, eine Behauptung, die dem Täter so wichtig war, dass Gott ihm diese angeblich in einem Traum eigens bestätigt habe.
hitlerismus Das von Hitler antizipierte tausendjährige Reich sei in Wahrheit ein tausendjähriges Reich unter Jesus Christus gewesen und Hitler eine Art menschliche Exekutive Jesu. Das ganze Konstrukt des Hitlerismus war für den Attentäter ein Werk des Himmels.
Hätte der Amoklauf vor diesem Hintergrund verhindert werden können? Oder besser: verhindert werden müssen? Dass jemand derartig antisemitische und geschichtsrevisionistische Positionen nicht nur vertritt, sondern auch noch in die Welt hinausposaunt, war mehr als ein Alarmsignal – und wirft Fragen nach dem politischen Handlungsbedarf auf. Sie müssen dringend beantwortet werden.
Die Autorin ist Bundestagsabgeordnete und innenpolitische Sprecherin der Grünen.