Seit 27 Wochen demonstrieren Israelis für die Demokratie in ihrem Land. Seit knapp sieben Monaten gehen Zehntausende Woche für Woche, wenn es sein muss Tag für Tag auf die Straße: für die Gewaltenteilung in einem Staat ohne Verfassung, dessen aktuelle Regierung die Grundrechte aushebeln will.
Ob Tel Aviv, Jerusalem oder Haifa, Sderot, Kfar Vitkin oder Beit Shemesh, Menschen beziehen Stellung, blockieren, streiken, machen sich stark, werden aktiv. Ohne zu zögern. Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft: Schoa-Überlebende und Schulkinder, Studierende und Gewerkschafter, Hausfrauen und Kampfpiloten, Sefardim und Aschkenasim, jung und alt, arm und reich, religiös und säkular. Das Einvernehmen ist, gelinde gesagt, untypisch für Israel und gibt der Bewegung eine atemberaubende Authentizität.
Und trotz der Länge des Protests ist, Gʼtt sei Dank, eine größere Eskalation der Gewalt vonseiten der Demonstranten bisher ausgeblieben.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich die Meldungen aus Israel und die WhatsApp-Nachrichten von Familie und Freunden lese, werde ich stolz, und in mir wachsen Bewunderung und Ehrfurcht. Jeden Tag mehr. Denn was dort passiert, rührt auch an die tief sitzende Frage: »Was würdest du tun?« All diese Menschen finden eine eindeutige Antwort darauf. Sogar meine zehnjährige Nichte.
Was in Israel besonders ist, ist es auch in der ganzen Welt. Ausmaß und Beständigkeit des Protests, die Vielfalt der Protestierenden, die Friedlichkeit, das gibt es in der Menschheitsgeschichte selten zu sehen. Only in Israel.
Und so schreibe ich der Familie: »Seid ihr unterwegs? Passt bitte auf euch auf!« Schwägerin und Schwager wechseln sich ab mit dem Demonstrieren. Heute ist er mit der Tochter daheim.
»Alles in Ordnung!«, schreibt er.
»Wie geht es der Kleinen?«, frage ich.
»Sie schaut mit mir Nachrichten und lernt, was Demokratie bedeutet.«
»Ihr seid großartig!«
»Es gibt keinen anderen Weg!«
Denn es gibt nur ein Israel.
Die Autorin ist Journalistin und lebt in Berlin.