Die Erwartungen an Frank-Walter Steinmeiers Rede waren riesig: Mit dem Bundespräsidenten durfte vergangene Woche in Polen erstmals ein deutsches Staatsoberhaupt beim zentralen Gedenken der jüdischen Aufstände im Warschauer Ghetto sprechen.
An selber Stelle, am Warschauer Ghetto-Ehrenmal, hatte Bundeskanzler Willy Brandt 1970 mit seinem wortlosen Kniefall demonstriert, dass es angesichts der Monstrosität der deutschen Schuld auch für Politiker Grenzen des Sagbaren gibt – und Symbole in den Vordergrund rücken.
Der Bundespräsident ist in Polen alles andere als wohlgelitten. Zu Recht.
Auch deshalb stand nun die Frage im Raum, ob Steinmeier sich ebenfalls für ein solches Symbol der Vergebung entscheiden sollte. Doch symbolische Gesten kann man nicht planen, und es brauchte sie - zumindest diesmal - auch gar nicht.
In seiner Rede betonte Steinmeier zunächst, was eigentlich selbstverständlich ist, worüber in Deutschland aber nach wie vor oft hinweggegangen wird: Im Warschauer Ghetto wurden polnische Juden eingesperrt und ermordet, weil sie Juden waren – und nicht, weil sie Polen waren. Die Schuld, die Deutschland mit Blick auf Polen auf sich geladen hat, ist unermesslich, das weiß Steinmeier, aber hier an diesem Tag ging es nicht um die deutsch-polnische Aussöhnung, sondern um die deutsch-jüdische. Und so bat er denn auch am Ghetto-Ehrenmal in erster Linie das jüdische Volk um Vergebung.
Warschau wirft Gerhard Schröders ehemaligem Kanzleramtsminister vor, mit seiner russlandfreundlichen Politik Putins Invasion in der Ukraine erst ermöglicht zu haben.
Bemerkenswert war Steinmeiers Rede aber auch aus einem anderen Grund: Der SPD-Politiker ist in Polen alles andere als wohlgelitten (in größeren Teilen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ebenfalls nicht, aber das ist ein anderes Thema). Zu Recht. Denn als Außenminister hatte Steinmeier die Warnungen aus Polen und anderen osteuropäischen Staaten vor Russlands aggressiver Politik jahrelang ignoriert.
Insbesondere die polnische Regierung wirft Gerhard Schröders ehemaligem Kanzleramtsminister vor, mit seiner russlandfreundlichen Politik Putins Invasion erst ermöglicht zu haben. Bis heute hat sich Steinmeier öffentlich nicht kritisch mit seiner bisherigen Russland-Politik auseinandergesetzt.
Umso überraschender war es jetzt, wie Steinmeier in Warschau hervorhob, dass aus dem viel zitierten »Nie wieder« auch Konsequenzen für die Gegenwart erwachsen. »Nie wieder«, das bedeute, dass es in Europa keinen verbrecherischen Angriffskrieg wie den Russlands gegen die Ukraine geben dürfe, betonte Steinmeier. »Nie wieder, das bedeutet, dass wir, die liberalen Demokratien, stark sind, wenn wir gemeinsam und vereint handeln. (...) Ich bekenne mich zu unserer Verantwortung für eine gemeinsame Zukunft!«
Es war keine Entschuldigung. Aber es klang ein bisschen wie eine. In Warschau wurde beides gleichermaßen aufmerksam registriert.
engel@juedische-allgemeine.de