Mein Vater floh 1939 mit einem Kindertransport nach England. Bald darauf folgte ihm die jüngere Schwester, meine Tante Sue. Nachdem auch unsere Großeltern fliehen konnten, wurde der Familie die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt.
1950 kehrte mein Vater nach Deutschland zurück, doch seine Schwester blieb und wurde Britin. Von den Deutschen, die sie und die Eltern vertrieben und die Großeltern ermordet hatten, hatte Sue genug.
Mein Vater wurde wieder Deutscher. Artikel 116 des Grundgesetzes regelte das. Doch der so selbstverständlich klingende Artikel hat Fallstricke – bis heute.
KAISERZEIT Denn noch immer wird Nachkommen von deutschen NS-Verfolgten die Rückerlangung der deutschen Staatsbürgerschaft verwehrt – Menschen etwa, deren familiäre Herkunft in den einst von Deutschland annektierten »Ostgebieten« liegt.
Der wichtigste Grund verbirgt sich im Staatsangehörigkeitsrecht aus der Kaiserzeit, nach dem nur Väter, nicht aber Mütter die deutsche Staatsangehörigkeit an ihre Kinder weitergeben konnten. Eine irre Regel, die sich absurderweise bis in unsere Zeit ausgewirkt hat.
Der so selbstverständlich klingende Artikel hat Fallstricke – bis heute.
Der jüngste Erlass des Bundesinnenministeriums öffnet nun endlich für die meisten Mitglieder der »Article 116 Exclusions Group«, die mein Cousin Felix Couchman im Oktober 2018 gemeinsam mit anderen Nachfahren von NS-Verfolgten gegründet hat, die Tür. Das ist gut. Meine Cousins und ihre Familien können Deutsche werden.
Doch das reicht nicht. Ein Bundesgesetz, besser noch eine Grundgesetzänderung muss her! Artikel 116 muss so erweitert werden, dass er ausnahmslos für alle gilt, auch für Menschen, die heute noch kein Deutsch sprechen. Alles andere ist unwürdig, weil es weder das Leid unserer Vorfahren noch die fortdauernden Erniedrigungen der heutigen Antragsteller anerkennt.
Der Autor ist Journalist und Buchautor. Die Geschichte seiner Familie erschien 2014 im Aufbau-Verlag unter dem Titel »Der Jude mit dem Hakenkreuz«.