Vor etwa sieben Jahren bin ich aus Italien nach Deutschland gekommen. Ich zog von Rom nach Berlin, und damit gehörte ich zu den letzten Tausenden Juden, die in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland eine neue Heimat suchten und fanden.
Ich kam am Vorabend von Kippur an, und ich erinnere mich sehr gut und sehr genau an die glückliche Atmosphäre, trotz der Ernsthaftigkeit der Feiertage, die ich in der Synagoge erleben durfte. Damals, 2012, hat mich die Vielfalt des jüdischen Lebens in dieser Stadt angezogen. Jetzt aber fühle ich, dass dieses jüdische Leben bedroht ist.
SCHULEN An- und Übergriffe gegen Juden, die von Muslimen verübt werden, gibt es hier in Berlin inzwischen fast täglich. Meine Kinder, die deutsche Staatsbürger sind, gehen in einen jüdischen Kindergarten und auf eine überwiegend von christlichen Kindern besuchte Schule.
Die Frage, ob sie eine Schule in den Bezirken Schöneberg oder Kreuzberg besuchen können, muss ich leider verneinen. Warum? Weil sie ständig Gefahr laufen würden, gemobbt und antisemitisch beleidigt zu werden. Das ist traurige Realität. Und ich als Vater muss mich besorgt fragen: Haben denn nicht alle deutschen Kinder die gleichen Rechte?
Erkennen die Behörden nicht, wie sehr
sie Juden in Angst versetzen, wenn
mögliche Täter sofort freigelassen werden?
Zumindest in Worten sagt die Bundesregierung, dass der islamische Terror derzeit die größte Bedrohung für Deutschland darstellt. Aber dann versucht ein Mann – wie wir mittlerweile wissen: ein Syrer –, die vor der Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin stationierte Polizei mit einem Kampfmesser anzugreifen. Er kann überwältigt und verhaftet werden, doch am nächsten Tag ist er wieder auf freiem Fuß. Ein Haftgrund liege nicht vor.
JOM KIPPUR So war es nicht verwunderlich, dass ich zwei Tage später den Anruf eines jüdischen Freundes erhielt, der normalerweise immer diese Synagoge besucht. Diesmal fragte er mich: »In welche Synagoge gehst du zu Kippur, Daniel?« Und er begründete seine Frage schnell: »Ich will meine Familie nicht mit in die Oranienburger Straße nehmen, es kommt mir nicht sicher vor.«
Ist es möglich, dass die Behörden überhaupt nicht erkennen, wie sehr sie jüdische Bürger in Angst versetzen, wenn mögliche Täter sofort freigelassen werden?
Dann heißt es plötzlich, dass das Augenmerk der Behörden eher auf die Bedrohung durch Rechtsextremisten gerichtet ist. Doch nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Terrorattacke in Halle muss man feststellen, dass dabei kein guter Job gemacht wird. Die Bevölkerung wird auch vor der Bedrohung von Rechts nicht ausreichend geschützt.
ISRAEL Und in Bezug auf die Außenpolitik beteuert die Regierung, dass die Verteidigung Israels zur Staatsräson gehört. Man stehe unverbrüchlich an der Seite des jüdischen Staates. Zugleich aber bemüht man sich, der beste Freund des Iran, also auch der Hisbollah, in Europa zu sein. Warum kann das Außenministerium nicht laut sagen, dass Teherans viszeraler Antizionismus eine Form des Antisemitismus ist, die den internationalen Beziehungen angepasst ist? Wie kann Deutschland den Staat der Juden verteidigen und zugleich den Staat, der jeden Tag die Zerstörung Israels verspricht, hofieren? Und fast immer ist man auch mit dabei, wenn Israel in den Gremien der UN verurteilt wird.
Der im Mai gefasste Beschluss des Bundestages, Boykottaufrufe gegen Israel zu verurteilen und der BDS-Bewegung entschlossen entgegenzutreten, war ein Schritt in die richtige Richtung. Aber es war eben nur ein Schritt.
Insofern bleibe ich etwas ratlos zurück: Kann mir bitte jemand die Frage beantworten, ob Deutschland für meine Familie und für mich noch ein sicherer Ort ist?
Der Autor ist italienischer Journalist in Berlin.