Bei Union Berlin wird ein israelischer Profi der Gästemannschaft, der in einer umstrittenen Spielsituation die Rote Karte sah, von einem Union-Fan auf Twitter als »Scheiß Judenvieh« beschimpft – »ab in die Kammer mit dir!«.
Beim Chemnitzer FC wird durch Schweigeminute und Einspieler auf der Videowand ein stadtbekannter Neonazi geehrt, der wenige Tage zuvor einem Krebsleiden erlag. Der Chemnitzer Stadionsprecher lobt den Rechtsextremisten als »Anhänger mit Leidenschaft«, und etliche Fans hängen ein Transparent aus und fackeln zu Ehren des toten Nazis ein Pyrofeuerwerk ab.
Und in Nürnberg fällt ein Fan aus Dresden auf, der glaubte, sich mit antisemitischem Gebrüll und »Hitlergruß« gegen die sturmbedingte Spielabsage seiner Dynamo gegen die SpVgg Greuther Fürth wehren zu müssen.
UNPOLITISCH Schlimm genug, aber die Sprachregelung, mit der reagiert wird, ist noch schlimmer: doch nicht auf dem Fußballplatz! Der Fußball, heißt es, solle damit nichts zu tun haben, er sei ja so unpolitisch.
So etwas kommt heraus,
wenn man lange genug daherschwätzt,
der Fußball sei unpolitisch.
Beinahe prototypisch hat – nach Angaben des MDR – die Fanbeauftragte des Chemnitzer FC diese Geisteshaltung formuliert. »Es gab grundlegende Dinge, die haben uns strikt getrennt«, hat sie auf ihrer Facebook-Seite über den verstorbenen Nazi geschrieben.
»Aber es gab eben auch die andere, menschliche Seite«, so zitiert der MDR den inzwischen gelöschten Post. »Wir waren immer fair, straight, unpolitisch und herzlich zueinander – das hat dich ausgezeichnet.«
KLARTEXT So etwas kommt dabei heraus, wenn man lange genug daherschwätzt, der Fußball sei unpolitisch und habe mit so schlimmen Dingen wie Judenhass nichts zu tun, denn die seien ja Politik. Antisemitismus taucht eben immer und überall auf – auch im Fußballstadion.
Er ist ein Phänomen, das in der gesamten Gesellschaft existiert, und jede Behauptung irgendeines gesellschaftlichen Teilbereichs, man selbst sei davon nicht betroffen, bedeutet im Klartext, dass man ihn genau dort nicht erkennen – und folglich nicht bekämpfen – möchte.
Beim Chemnitzer FC trat der Geschäftsführer nach dem medialen Sturm zurück. Aktiv wurde der Klub, der ja selbst den verstorbenen Rechtsextremisten überdimensional würdigte, nur gegen einen Spieler, der ein T-Shirt mit der Aufschrift »Support your local Hools« hochhielt. Der wurde mit einer Geldstrafe belegt, weil, O-Ton Chemnitzer FC: »Für Äußerungen dieser Art ist auf dem Fußballplatz kein Raum.«
LEBENSINHALT Nochmal, damit es auch in Westsachsen verstanden wird: Wer schlimme Äußerungen nur mit dem Hinweis untersagt, man wolle die hier nicht hören, gibt zu verstehen, dass er sie woanders duldet oder gar gutheißt. Dass dies keine böse Unterstellung gegen den Chemnitzer FC ist, wird deutlich, schaut man sich dessen Erklärung zum Vorfall genauer an. »Die Ermöglichung der gemeinsamen Trauer stellt keine Würdigung des Lebensinhalts des Verstorbenen dar«, behauptet der Klub – daher habe man sich tränenselig von engagierten Nazi verabschiedet.
Den Kampf muss man »auch
in unseren eigenen Reihen« führen,
heißt es bei Union. Zu Recht.
Dass man gegen antisemitische Fans auch vorgehen kann, hat am gleichen Abend der FC Union in Berlin bewiesen. Auf die Beleidigung des israelischen Profis Almog Cohen, der beim FC Ingolstadt spielt, reagierte der Klub sofort mit einer Solidaritätserklärung mit Cohen, verurteilte die Beleidigung gleich als das, was sie ist, als »widerlichen antisemitischen Tweet«, und erstattete Strafanzeige.
Und, um zu zeigen, dass man weit davon entfernt ist, in die üblichen Abwehrfloskeln zu verfallen, wonach so etwas nicht von Fans kommen könne und mit Fußball nichts zu tun habe, formulierte Union auch gleich, dass man den Kampf gegen solche Diskriminierungen konsequent führen muss – »auch in unseren Reihen«.
Ja, da fängt der Kampf gegen Antisemitismus an: in den eigenen Reihen, im eigenen Milieu. Wer behauptet, Judenhass gebe es immer nur woanders – nicht bei uns, nicht im Fußball, nicht in meinen Kreisen –, sorgt nur dafür, dass es ihn weiter gibt: bei sich und woanders.