Ungeheuerliches geschieht in diesen Wochen und Monaten in der Schweiz: In der Eidgenossenschaft, deren Bewohner überall auf der Welt als besonders fleißig gelten, denkt man tatsächlich über die Einführung eines weiteren Feiertags nach!
Zusätzlich zum sogenannten Bundesfeiertag am 1. August wäre dies künftig auch der 12. September. Das ist der Tag, an dem vor 175 Jahren die Schweizer Verfassung in Kraft trat und einen Schlussstrich unter den Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Protestanten setzte – der letzte Krieg auf Schweizer Boden. Die Verfassung gilt bis heute als Grundlage der modernen Schweiz.
Festakt Ob der Feiertag tatsächlich eingeführt wird, ist noch offen. Tatsache aber ist, dass in diesem Jahr am 12. September in Bern aus Anlass des historischen Ereignisses ein großer Festakt stattfindet. Bezeichnenderweise in einer Kirche!
Jüdische Schweizer sehen darin auch ein Symbol dafür, dass sie eigentlich keinen Grund haben, dieses Ereignis mitzufeiern. Denn ihre Vorfahren mussten sich, nachdem die Verfassung 1848 in Kraft getreten war, volle 18 Jahre gedulden, bevor zumindest die Männer ebenfalls die gesetzliche Gleichstellung gegenüber ihren christlichen Mit-Eidgenossen erhielten.
Aber es war nicht bloß diese zeitliche Verzögerung, die vor allem dem herrschenden Antisemitismus zuzuschreiben ist, sondern es waren Interventionen aus dem Ausland nötig, damit die Schweizer Juden endlich gleichgestellt wurden: Frankreich, die Niederlande und die Vereinigten Staaten wollten nach 1848 die Benachteiligung ihrer in der Schweiz lebenden Bürger nicht länger hinnehmen und übten massiv Druck auf die Regierung in Bern aus. Genauso wie 130 Jahre später bei den Konten von Schoa-Opfern auf Schweizer Banken gab das Land erst unter äußerem Druck nach.
Was nun den 12. September betrifft, könnte es sein, dass ihn jüdische Schweizer 2026 auch feierlich begehen. Dann ist an diesem Tag nämlich Rosch Haschana.
Der Autor ist Journalist in Basel.