Das Leid der Menschen in der Ukraine ist unermesslich. Die Situation der dortigen Zivilbevölkerung verdient unsere volle Aufmerksamkeit: Die Ukrainer brauchen jede Hilfe! Wir müssen jedoch auch auf die russische Bevölkerung blicken. Vor allem in den liberaleren Metropolen Moskau und St. Petersburg müssen die Menschen dieser Tage den Eindruck haben, innerhalb von zwei Wochen um 40 Jahre zurückgeworfen worden zu sein.
Die ohnehin nicht zahlreichen Antikriegsdemonstranten werden in Scharen festgenommen, Facebook und Twitter sind nicht mehr zugänglich, auch von einer baldigen, weitergehenden Internet-Sperre ist die Rede.
medien Aufgrund eines neuen Gesetzes, das drakonische Strafen für »falsche« Berichterstattung über den Krieg, der nicht einmal so genannt werden darf, vorsieht, haben sich westliche Medien aus Russland zurückgezogen. Unabhängige Informationen sind nur noch über Umwege zugänglich.
Auch in der russischen Mittelschicht könnte angesichts des absehbaren Wohlstandseinbruchs die Unzufriedenheit wachsen.
Und selbst der lieb gewonnene Konsum leidet, seitdem westliche Konzerne wie Apple, Volkswagen und Ikea ihren – zumindest vorübergehenden – Rückzug aus Russland verkündeten. Es ist wahrscheinlich nicht der eingeschränkte Konsum, der derzeit immer mehr vor allem jüngere Russen zur Ausreise bewegt, sondern das immer repressivere gesellschaftliche Klima und die drohende Rückkehr des »Eisernen Vorhangs«.
mittelschicht Auch in der russischen Mittelschicht könnte angesichts des absehbaren Wohlstandseinbruchs die Unzufriedenheit wachsen. In einem zunehmend der Sowjetunion ähnelnden, weitgehend isolierten Russland wollen zumindest die Großstädter nicht leben.
Ob Wladimir Putin deren Anliegen ernst nimmt, darf aber bezweifelt werden. Die durch die Folgen seines Überfalls auf die Ukraine eingeleitete Isolierung und Resowjetisierung Russlands dürfte Putin eingepreist haben. Es ist sogar zu vermuten, dass viele ältere und in ländlichen Gebieten lebende Russen diesen Kurs gutheißen. Putins Weg zurück in die vielfach verklärte Sowjetvergangenheit gehen sie aus Überzeugung mit.
eugen.el@juedische-allgemeine.de