Meinung

Sahra Wagenknecht - Die neue Rechte von der alten Linken

Sahra Wagenknecht auf der Kundgebung »Nein zu Kriegen - Ruestungswahnsinn stoppen - Zukunft friedlich und gerecht gestalten« am 25. November 2023 Foto: picture alliance / epd-bild

Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Wunschtraum und einem Alptraum? Der Wunschtraum ist, dass der Alptraum endet. Alptraum ist, wenn ich überall nur noch Sarah Wagenknecht sehe. Ob als Schlagzeile, auf dem Buchcover, in Talkshows oder im Podcast, man kommt nicht von ihr weg.

Nach all ihren Posten als Parteivorsitzende, Parteigründerin und Friedensstifterin, jetzt das nächste Amt: Sarah Wagenknecht, die Nahost-Expertin. Unter dem Motto »Die Zukunft friedlich und gerecht gestalten« kam sie auf einer Friedensdemo am Brandenburger Tor mit einem noch nie dagewesenen Apell auf: Israel und die Hamas sollten sofort ohne Wenn und Aber Friedensverhandlungen miteinander aufnehmen.

Donnerwetter. Und siehe da: Kaum hatte sie ihre Forderung ausgesprochen, schon ruhten die Waffen. Prompt wurden israelische Geiseln und palästinensische Häftlingen ausgetauscht. Böse Zungen behaupten, Außenministerin Annalena Baerbock sei vor Neid über Wagenknechts Wirkungsmacht erblasst. Was war geschehen?

Vernunft

An jenem eiskalten Samstagnachmittag waren über 10.000 Menschen Sahra Wagenknechts Ruf gefolgt. Nachdem das Lied »Es braust ein Ruf wie Donnerhall« ertönt war, kündigte sie an, sie wolle noch vor dem Gründungsparteitag im Januar der Bitte vieler Genossen nachkommen, und sich edel und großherzig in den Dienst des Friedens stellen.

Sie versprach, sich vorbehaltlos als Projektionsfläche aller zur Verfügung zu stellen - auch den linken AfDlern, den konservativen Wutbürgern, bockigen Querdenkern, den hoffnungsvollen Pazifisten, den woken Cancel-Culture-Studenten und feminitischen Putinisten. In ihrer lang erwarteten Rede an die Nation bekundete sie ihren Willen, den gordischen Knoten im Nahen Osten ein für alle Male zu durchtrennen.

Sie verurteilte den Terror der islamistischen Hamas, verdammte »die rücksichtslosen Bombardements im Gazastreifen« durch Israel und appellierte an alle, endlich Vernunft walten zu lassen. An den israelischen Ministerpräsidenten gerichtet, mahnte sie an, Bomben würden den islamistischen Terror nur stärken und jüdisches Leben hierzulande gefährden. Anders gesagt: Israels militärische Antwort in Gaza ist schuld daran, wenn Juden in Neukölln, Essen oder Duisburg angefeindet und attackiert werden.

Glühwein

Passend zu Sarah Wagenknechts »Ja, Aber«-Bekenntnis zu Deutschlands Verantwortung für jüdisches Leben betrat der argentinische Komponist und Musiker Pablo Behrend Miró die Bühne. Einfühlsam verglich der Barde die Bombardierung von Gaza mit dem Holocaust und brachte sein Bedauern zum Ausdruck, dass es für Palästinenser in Deutschland immer noch keine Stolpersteine gebe.

Während der reale Alptraum noch im vollen Gange war, driftete ich gedanklich ab. Für einen Moment wusste ich nicht mehr, was mit mir geschah. Hatte ich zu viel Glühwein getrunken, oder schlecht geträumt? Während diese Szene noch im vollen Gange war, verschwammen für mich die Grenzen zwischen realem Albtraum und angstvollem Hirngespinst.

Haniyeh, der Führer der Hamas, taucht darin durch ein Video auf. Aus seinem goldenen Luxusbunker in Katar sagt er Greta Thunberg seine volle Unterstützung im Kampf gegen die zionistische Klimakatastrophe zu. Dann kommt sein Paukenschlag: Mit bebender Stimme schlägt er Sahra Wagenknecht für den Friedensnobelpreis vor.

Völkerverständigung

Mit Tränen in den Augen erklärt der ehemalige Ministerpräsident der Palästinensischen Autonomiegebiete, die Märtyrer des Friedens stünden Gewehr bei Fuß, ihre Nominierung für besondere Verdienste in der Friedensarbeit und Völkerverständigung, tatkräftig zu unterstützen. Doch der Alptraum will nicht aufhören.

Kurz vor dem Ausklang der Friedenskundgebung gelingt es Mohammed Deif, dem Führer der radikalislamistischen al-Qassam-Brigaden, ein Telegramm aus Gaza hinaus zu schmuggeln. Darin begrüßt er die Bombenstimmung am Brandenburger Tor. In knappen Worten beschwört er, keine Mädchen mehr vergewaltigen zu lassen. Zudem verspricht er, nie wieder Kleinkinder unter vier Jahren ohne Eltern entführen oder enthaupten zu lassen. Als er gar schriftlich versichert, der Breitscheid-Platz bleibe für alle Märtyrer tabu, bricht die Menge vor Erleichterung und Dankbarkeit in Jubel aus.

Im Gegensatz zu den Repräsentanten des politischen und militärischen Flügels der Hamas, zeigt Israels Regierungschef Netanjahu sich wieder einmal unversöhnlich. In scharfen Worten und mit deutlichem Zeigefinger an Wagenknecht gerichtet, sagte er beim Besuch eines Militärstützpunkts: »Sahra, spar dir deine Ejzes (Kommentare)«.

Die Experten sind sich uneinig, an wen sich seine Warnung richtete: an die vormalige Gallionsfigur von Die Linke oder an seine Ehefrau zu Hause.
An dieser Stelle wachte ich erschrocken auf und dachte: »Oy wey, was ist nun schlimmer, die Realität oder mein Albtraum?«

Der Autor ist Psychologe, Publizist und Coach. Er berät Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik.

Meinung

Die UN, der Holocaust und die Palästinenser

Bei den Vereinten Nationen wird die Erinnerung an den Holocaust mit der »Palästina-Frage« verbunden. Das ist obszön, findet unser Autor

von Jacques Abramowicz  25.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  24.04.2025

Essay

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  24.04.2025

Meinung

Ich habe versagt

Damit sich ein Ereignis wie die Schoa nicht wiederholt, kommt es darauf an, wie wir erinnern. Doch wir sind offenbar dabei, genau das den Falschen zu überlassen

von Sophie Albers Ben Chamo  23.04.2025

Jom Haschoa

Zwei Minuten Stillstand?

Sollte in Deutschland in derselben Art und Weise wie in Israel an die Opfer der Schoa erinnert werden? Ein Gastbeitrag von Felix Klein

von Felix Klein  22.04.2025

Kommentar

Bezalel Smotrich, die Geiseln in Gaza und der moralische Teufelskreis

Zum Gesellschaftsvertrag in Israel gehört es, dass kein Soldat und kein Opfer von Terror zurückgelassen wird. Niemand! Niemals! Koste es, was es wolle. Was es bedeutet, dies nun in Frage zu stellen

von Daniel Neumann  22.04.2025

Kommentar

Bis zuletzt wollte Mustafa A. aus Lahav Shapira einen Täter machen

Dem Täter tue es leid, dass sein Angriff »instrumentalisiert wird, um jüdischen Bürgern Angst einzuflößen«. Ein unverfrorener Satz

von Nils Kottmann  17.04.2025

Volker Beck

Den Kampf gegen Antisemitismus nicht vereinnahmen

US-Präsident Trump nimmt den Antisemitismus an der Harvard University zum Anlass für einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit und die Rechtsgleichheit für alle

von Volker Beck  16.04.2025

Lasse Schauder

Wer den Begriff »Islamismus« bannen will, ist politisch unmündig

Die Berliner Jusos haben beschlossen, aus Gründen der Sprachsensibilität künftig nicht mehr von »Islamismus« sprechen zu wollen. Das ist ein fatales Signal an Betroffene extremistischer Gewalt

von Lasse Schauder  16.04.2025