»Als Lehrende der Berliner Hochschulen verpflichtet uns unser Selbstverständnis dazu, unsere Studierenden auf Augenhöhe zu begleiten, aber auch zu schützen und sie in keinem Fall Polizeigewalt auszuliefern.«
So lautet der erste Satz eines Aufrufs von Dozenten an Berliner Hochschulen, dem sich bereits Hunderte Akademiker über die Grenzen der Hauptstadt hinaus angeschlossen haben. Anlass der Erklärung ist die Räumung eines Protestcamps an der Freien Universität Berlin. Ein paar Dutzend israelfeindlicher Aktivisten hatten es Anfang der Woche errichtet und damit lautstark ihre Auffassung zum Nahostkonflikt kundgetan.
Doch die scharfe Kritik der Dozenten richtet sich nicht etwa gegen die Aktivisten, die den Lehrbetrieb gestört hatten, sondern gegen die Universitätsleitung. Diese hatte nämlich die Polizei zu Hilfe gerufen und die Räumung des besetzten Geländes veranlasst. Es gehöre zu den Pflichten der Verwaltung, so der Aufruf, »solange wie nur möglich eine dialogische und gewaltfreie Lösung anzustreben.« Den Protestierern hätte ein »Gesprächsangebot« unterbreitet werden müssen, anstatt den Protest einfach aufzulösen.
Das klingt fast so, als habe man es da mit aufsässigen Minderjährigen zu tun, denen Gewalt angetan wurde, und nicht mit erwachsenen, mündigen Bürgern, die antisemitische Parolen brüllten.
Wer sich den Rest des Aufrufs durchliest, könnte glatt zum Zyniker werden. Schuld an der Eskalation der Lage hatte nur die FU-Leitung, ist zwischen den Zeilen zu lesen. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass die Uni-Besetzer wiederholt mit Sprechchören zu einer »Intifada« aufgerufen und andere problematische Parolen gebrüllt hatten. Außerdem kam es offenbar zu Sachbeschädigungen und Rangeleien. Die Polizei nahm mehrere Personen wegen Volksverhetzung und Hausfriedensbruch fest.
Es war also alles anderer als ein friedlicher Protest. Wie in dieser Lage ein »Gesprächsangebot« der Unileitung hätte aussehen sollen, erläutern die Unterzeichner des Aufrufs nicht. Ihre Solidaritätsaktion mit den radikalsten Israelfeinden unter den Studierenden (eine übergroße Mehrheit an der FU dürfte anders ticken) wirkt angesichts der jüngsten Vorkommnisse in Berlin befremdlich.
Im Februar wurde ein jüdischer FU-Student von einem Kommilitonen fast totgeprügelt. In ganz Deutschland und besonders in Berlin haben jüdische Studierende mittlerweile Angst, Opfer von ähnlichen Gewaltexzessen zu werden. Auf deutschen Straßen zeigt sich täglich die hässliche Fratze der »Israel-Kritik«. Kein Wort dazu in dem Aufruf der Akademiker.
Dass die FU-Führung in einer solch angespannten Situation keine Eskalation riskieren wollte, wie sie an Universitäten in den USA und Frankreich in den letzten Wochen zu beobachten war, ist ihr hoch anzurechnen. Sie hat den Satz »Wehret den Anfängen« ernst genommen, das ist gut so.
Da der Campus der FU Berlin öffentlich zugänglich sei, behaupten die Unterzeichner des Aufrufs der Lehrenden, gelte auch dort die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit. Die FU-Leitung möge deshalb, so die Dozenten, künftig »von Polizeieinsätzen gegen ihre eigenen Studierenden ebenso wie von weiterer strafrechtlicher Verfolgung« absehen. Polizeieinsätze auf dem Campus seien mit einem Dialog nicht vereinbar, schreiben sie.
Was für ein Unsinn!
Das Gegenteil ist richtig. Es ist gut, dass die Polizei gerade an öffentlichen Orten Präsenz zeigt. Und es ist richtig, dass sie einschreitet, wenn Gewalt ausgeübt wird, Gesetze missachtet und volksverhetzende Parolen gebrüllt werden. Eine nicht angemeldete Uni-Besetzung ist auch keine legitime Versammlung im Sinne des Gesetzes.
Nein, das Vorgehen der FU-Führung und das Handeln der Polizei steht im Einklang mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Es ist schlicht unredlich, wenn einige auf der Linken die »ganze Härte des Rechtsstaats« nur dann fordern, wenn es um Verfehlungen am anderen Ende des politischen Spektrums geht, es mit Rechtsstaatlichkeit aber nicht so genau nehmen, wenn eigene Anliegen tangiert sind.
Genauso dürftig ist, wenn Polizeieinsätze gegen linke Protestierer sofort mit »Polizeigewalt« gleichgesetzt werden. Wenn es zum Selbstverständnis von Lehrenden gehört, dass sie Studierende nicht der »Polizeigewalt ausliefern«, dass also mit anderen Worten Recht und Gesetz an Hochschulen zwar gelten, aber nicht durchgesetzt werden dürfen, ist das ein intellektuelles Armutszeugnis für die unterzeichnenden Hochschullehrer.
Vor dem Gesetz sind schließlich (das dürfte auch ihnen bekannt sein) alle gleich. Hochschulen sind keine rechtsfreien Räume. Und wo kämen wir hin, wenn Polizei und Justiz dort nicht mehr für die Einhaltung von Recht und Gesetz sorgen dürften?