Ali Ertan Toprak

Rechtsextremismus nicht verharmlosen, nur weil er türkisch ist

Die türkische Nationalmannschaft hat bei der Europameisterschaft gut und leidenschaftlich gespielt und hätte ein Weiterkommen genauso verdient. Aber das ungenierte Zelebrieren eines faschistischen Symbols, dem Wolfsgruß, durch den Torschützen Merih Demiral und den aggressiven türkischen Fans halten leider mein Mitleid in Grenzen. 

Der Rassismus im Sport hat verloren. Gut so. Denn Fußball ist kein Krieg, Fußball ist Völkerverständigung. 

Der Wolfsgruß ist auch mitnichten mit dem Bundesadler zu vergleichen, wie es uns türkische Nationalisten und ihre Verharmloser verkaufen wollen. Während der Bundesadler unsere freiheitliche Demokratie in Deutschland repräsentiert, ist der Wolfsgruß eine zutiefst menschenverachtende, rassistische, ultranationalistische und antisemitische Symbolik des türkischen Faschismus. 

Alparslan Türkes, Gründer und Führer der Grauen Wölfe, erklärte das Symbol Anfang der 90er-Jahre so: »Der kleine Finger symbolisiert den Türken, der Zeigefinger den Islam. Der beim Wolfsgruß entstehende Ring symbolisiert die Welt. Der Punkt, an dem sich die restlichen drei Finger verbinden, ist ein Stempel. Das bedeutet: Wir werden den Türkisch-Islamischen Stempel der Welt aufdrücken.« Türkes war übrigens in den 40er-Jahren Verbindungsoffizier der Nazis in der Türkei. Und hat »Mein Kampf« in der Türkei populär gemacht. 

Das Wolfszeichen ist also nicht irgendein politisches Symbol, sondern ein menschenverachtendes und gewalttätiges Zeichen, das bei Pogromen und Massakern an Minderheiten und bei Gewalttaten gegen politische Gegner eingesetzt wird.

So auch beim Pogrom und Brandanschlag an den Aleviten im Jahre 1993 in der Stadt Sivas. Tausende Nationalislamisten haben damals ein Hotel angezündet, in dem sich Aleviten vor den Angreifern verschanzt hatten. Bei dem Brandanschlag sind insgesamt 37 Menschen getötet worden. 

Was werden Aleviten, andere Minderheiten und alle Opfer des türkischen Rassismus gedacht und gefühlt haben, als der türkische Torschütze Merih Demiral ausgerechnet am 2. Juli, dem Gedenktag des Pogroms von Sivas, beim Spiel gegen Österreich, den Wolfsgruß zeigte?

Wir Opfer des türkischen Faschismus haben alle in dem Moment das gefühlt, was alle Juden fühlen, wenn in der Öffentlichkeit seit dem 7. Oktober Hamas-Zeichen gezeigt werden. Wir Aleviten, Kurden und alle anderen Opfer haben uns wieder einmal verhöhnt gefühlt. Nie wurden diese Pogrome jemals in der Türkei aufgearbeitet, von einer Entschuldigung bei den Opfern und ihren Angehörigen ganz zu schweigen. 

Die türkischen Faschisten, die heute als Graue Wölfe bezeichnet werden, sind für die schlimmsten Pogrome und Massaker der jüngeren türkischen Geschichte verantwortlich.

Eins ähnelt besonders dem Massaker vom 7. Oktober. Die Rechtsextremen verübten 1978 in der Vorweihnachtszeit drei Tage lang ein Massaker an der kurdisch-alevitischen Bevölkerung in der Stadt Maras. Sie stürmten die Wohngebiete der kurdischen Aleviten und schlachteten diese Menschen in Hamas-Manier ab. Auf die Details der Grausamkeit möchte ich hier nicht eingehen. Die Grausamkeit des Massakers vom damals gleicht dem der Hamas. Nur mit einem Unterschied: Es wurden damals keine Geiseln gemacht.

Jetzt versuchen auch in Deutschland einige Menschen diesen Wolfsgruß zu verharmlosen, in dem sie sagen, er würde ja nicht nur von türkischen Rechtsextremisten benutzt, sondern in der Türkei mittlerweile von vielen anderen Kreisen auch. Ja, stimmt. Aber was sagt das über die heutige Erdogan-Türkei aus? 

Was viele hier nicht verstehen: Während der Rechtsextremismus und Nationalismus in Deutschland gesellschaftlich geächtet sind, ist der Rechtsextremismus in die türkische Gesellschaft eingebettet. Die Grauen-Wölfe sind mittlerweile seit Jahren Erdogans Koalitionspartner. 

Dass wir mittlerweile eine Einwanderungsgesellschaft sind, darf nicht bedeuten, dass wir unsere unverhandelbaren Werte aufweichen, weil Faschismus und Antisemitismus in anderen Gesellschaften Mainstream ist. 

Es ist an der Zeit, dass wir jeden Faschismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus in Deutschland mit derselben Ernsthaftigkeit bekämpfen, mit der wir unseren eigenen Rechtsextremismus ächten und bekämpfen. 

Worauf wartet das Bundesinnenministerium seit fast vier Jahren? Ich befürchte, dass man kein Konflikt mit der Erdogan-Türkei will. Das wäre fatal. Wir dürfen niemals vor dem Nationalislamismus von Erdogan einknicken. Denn seine Ideologie gefährdet mittlerweile unseren inneren Frieden in unserem eigenen Land.

Der Autor ist Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland.

Meinung

Maria und Jesus waren keine Palästinenser. Sie waren Juden

Gegen den Netflix-Spielfilm »Mary« läuft eine neue Boykottkampagne

von Jacques Abramowicz  20.11.2024

Meinung

Jung, jüdisch, widerständig

Seit dem 7. Oktober 2023 müssen sich junge Jüdinnen und Juden gegen eine Welle des Antisemitismus verteidigen

von Joshua Schultheis  20.11.2024

Medien

Ausweitung der Kampfzone

Die israelfeindlichen Täter haben die »NZZ« ganz bewusst zum Abschuss freigegeben. Ein Kommentar

von Nicole Dreyfus  19.11.2024

Nicole Dreyfus

Die UNRWA kann auf Zürich zählen

Die Regierung zahlt 380.000 Franken an das mit dem Hamas-Terror verbundene Palästinenserhilfswerk

von Nicole Dreyfus  15.11.2024

Michael Thaidigsmann

Borrells letztes Gefecht

Der scheidende EU-Außenbeauftragte fordert die Aussetzung des Assoziierungsabkommens der EU mit Israel. Damit dürfte er kläglich scheitern

von Michael Thaidigsmann  14.11.2024

Tobias Kühn

Wagenknechts rotbrauner Humus

Der israelbezogene und anti-imperialistische Antisemitismus ist Teil der Identität des BSW

von Tobias Kühn  14.11.2024

Sabine Brandes

Für einen Libanon ohne die Hisbollah

Es ist an der Zeit, dass die Libanesen Nein zum Einfluss einer Terrororganisation auf ihr Leben sagen

von Sabine Brandes  14.11.2024

Meinung

Patrick Bahners und die »Vorgeschichte« zu den Hetzjagden in Amsterdam

Daniel Schwammenthal über das Pogrom von Amsterdam und seine Bagatellisierung durch deutsche Journalisten

von Daniel Schwammenthal  13.11.2024

Meinung

Antisemitismus-Resolution: Und jetzt?

In zwei Gastbeiträgen plädieren die Bundestagsabgeordneten Daniela Ludwig (CSU) und Marlene Schönberger (Grüne) für ein entschiedenes Handeln gegen Judenhass

von Daniela Ludwig, Marlene Schönberger  13.11.2024