Der Moskauer Politikwissenschaftler Sergej Markow arbeitet sich gerne an Wolodymyr Selenskyj ab: Die Ukraine werde von einem jüdischen Präsidenten regiert, der zudem ein Schoa-Befürworter sei. Mit diesem perfiden Vorwurf steht Markow sogar in der russischen Propaganda ziemlich allein da.
Das absurde antisemitische Feindbild gefällt ihm aber wohl. Genauso wie offensichtlich seinem Idol Wladimir Putin: Immer häufiger greift der Kreml-Chef Selenskyjs jüdische Herkunft auf, wobei die Anschuldigungen immer absurder werden.
kreatur Inzwischen wird Selenskyj zu einer Kreatur des »kollektiven Westens« stilisiert, der einen »ethnischen Juden« absichtlich an die Spitze der Ukraine gebracht habe, um die internationale Öffentlichkeit vom NS-Charakter des »ukrainischen Regimes« abzulenken. Der ukrainische Präsident wird als Marionette der »amerikanisch-jüdischen Verschwörung« präsentiert.
Paradoxerweise können Putins Entgleisungen gegen Selenskyj eine positive Wirkung erzielen.
Russlands Autokrat geht aber noch weiter. Die Schoa in der Ukraine wird als Projekt der »ukrainischen Nationalisten« dargestellt, die für den Judenmord verantwortlich seien und deren Nachkommen nun in Kiew regieren würden.
attacken Was also treibt Putin um? Es liegt auf der Hand: Er möchte die Ukraine als »Nazi-Staat« delegitimieren und setzt auf das probate Mittel Antisemitismus. Zudem wird Putin zerfressen von seinem Hass gegen Selenskyj, der seine Ukraine-Pläne durchkreuzte. Mit seinen antisemitischen Bemerkungen will Putin zwar Selenskyj persönlich treffen, der Erfolg indes bleibt aus: Selenskyj lässt sich von den Angriffen nicht irritieren. Doch sein Umfeld nutzt die Attacken geschickt, um Putins Ruf vollends zu ruinieren.
Der Kreml betont häufig, Moskau wolle den Antisemitismus in der Ukraine ausrotten. Paradoxerweise können Putins Entgleisungen gegen Selenskyj eine positive Wirkung erzielen – wenn schon Erzfeind Putin antisemitische Anspielungen macht, werden manche Menschen in der Ukraine vielleicht über ihre eigenen judenfeindlichen Ressentiments nachdenken.
Der Autor ist Historiker und Experte für die Geschichte der Juden in Osteuropa.