Die 62-jährige Irina kam Anfang der 90er-Jahre von der Krim nach Israel. Aus ihrer prorussischen Einstellung macht sie kein Hehl. Von der Zusammenarbeit zwischen Moskau und dem israelischen Erzfeind Teheran wollte sie lange Zeit nichts wissen. Dagegen schwärmte Irina von »ihrem Präsidenten«, von Wladimir Putin. Dann aber kam der terroristische Überfall der Hamas auf Israel und das Massaker an Zivilisten.
Erwartungsgemäß schlug sich Russland in diesem Konflikt auf die Seite der »arabischen Freunde«. Putin verurteilte das Vorgehen der israelischen Armee und verstieg sich sogar zu einem perfiden Vergleich, die Abriegelung des Gazastreifens sei wie die Leningrader Blockade der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Die staatlich kontrollierten Medien arbeiten sich währenddessen an »israelischen Kriegsverbrechen« ab.
Empathie für die israelischen Opfer? Fehlanzeige!
In den sozialen Netzwerken sind die Vergleiche mit dem Nationalsozialismus omnipräsent. Und die Empathie für die israelischen Opfer? Fehlanzeige! Moskau interessiert sich nicht einmal für die russischen Staatsbürger, die von der Hamas getötet oder nach Gaza verschleppt wurden. Die Evakuierung der Landsleute aus Israel ist nicht vorgesehen. Stattdessen hält der Kreml an seinen Kontakten mit der Hamas fest.
Für Irina ist Russlands Verhalten ein Schock, denn sie hat – wie nicht wenige aus Russland stammende Israelis – fest an Putins Judenfreundlichkeit und an seine angebliche Sympathie für Israel geglaubt. Tatsächlich ist aber die russische Haltung keinesfalls überraschend. Obschon Israel keine Sanktionen gegen Russland eingeführt hat und keine Waffen an die Ukraine liefert, ist es aus russischer Sicht ein prowestlicher Staat, ja ein Vasall der USA. Irina fühlt sich von Putin verraten. Dabei hat er stets sein wahres Gesicht gezeigt. Man wollte es bloß nicht sehen.
Der Autor ist Historiker und Experte für die Geschichte der Juden in Osteuropa.