Vor 55 Jahren – in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 – marschierten Truppen der UdSSR und weiterer vier Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei ein und beendeten dort gewaltsam das Experiment des demokratischen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«.
Angesichts befürchteter internationaler Reaktionen zögerte das Politbüro um Leonid Breschnew monatelang mit dieser Entscheidung, während seine sozialistischen Partner radikale Schritte forderten und dabei auch auf antisemitische Ressentiments setzten.
propaganda Im Kontext des Sechstagekriegs 1967 brach die UdSSR die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab und trieb eine anti-israelische, antisemitisch gefärbte Propaganda voran. Der »internationale Zionismus« galt als Erzfeind des Sozialismus. Auch hinter der Reformpolitik in der ČSSR wähnten kommunistische Verschwörungstheoretiker ein Komplott von Zionisten, die den Sozialismus in der Tschechoslowakei im Auftrag von Israel und den Vereinigten Staaten zerstören wollten.
Moskau flankierte den Einmarsch in die ČSSR mit einer Medienkampagne, bei der eine jüdische Dominanz in tschechoslowakischen Führungskreisen suggeriert wurde. Im Fadenkreuz standen vor allem der Vorsitzende der Nationalen Front, František Kriegel, der Vize-Ministerpräsident Ota Šik, und der Präsident des Schriftstellerverbandes, Eduard Goldstücker.
kritik Kriegel wurde vom sowjetischen Regierungschef Alexej Kossygin offen antisemitisch attackiert. Als erster tschechoslowakischer Botschafter in Israel wurde Goldstücker vernichtender Kritik ausgesetzt.
Nach seiner Emigration machte der Germanist Goldstücker eine beachtliche akademische Karriere in Großbritannien. 1971 sagte er in einem Interview mit dem »Spiegel«: »Als die Moskauer Führung und ihre Verbündeten das tschechoslowakische Experiment mit Panzern zerquetschten, haben sie ihre eigene Zukunft zerquetscht.« Die Geschichte gab ihm recht.
Der Autor ist Historiker und Experte für sowjetische Zeitgeschichte sowie für die Geschichte der Juden in Osteuropa.