Piotr Kadlcík

Polens kühle Kalkulation

Piotr Kadlcík Foto: picture alliance / dpa

Die Entscheidung des polnischen Parlaments über die Restitution des zuerst von den Nazis und dann von den Kommunisten geraubten Eigentums ist vielleicht schockierend, aber mit Sicherheit nicht überraschend. Die Frage der Restitution von Eigentum – nicht nur des jüdischen – kam seit 1989 immer wieder auf. Da Polen innerhalb von 30 Jahren nach dem Fall des Kommunismus keine Lösung gefunden hat, heißt das wohl, dass sich niemand, unabhängig von der politischen Couleur der gerade Regierenden, ernsthaft für das Thema interessierte.

Israels Reaktion mag einigen als übertrieben erscheinen. Vielleicht sollte Außenminister Lapid in einigen seiner Aussagen seine Worte besser wählen, aber Israel ist eben der Staat, zu dessen Aufgaben auch die Verteidigung der Juden vor jedweder Ungerechtigkeit gehört. Auch wenn Lapids Reaktionen womöglich einem politischen Kalkül folgen.

TON So oder so – die geduldig aufgebauten polnisch-israelischen Beziehungen wurden schon durch das »Holocaust-Gesetz« 2018 geschwächt und liegen nun in Trümmern. Für Israel ist das im Moment kein großes Problem. Wie sich das Abkühlen der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und auch militärischen Zusammenarbeit auf Polen auswirkt, wird sich zeigen.

Entscheidungen der letzten Zeit wurden allein unter dem Blickwinkel der Lokalpolitik getroffen, ohne sich um Konsequenzen auf internationaler Ebene zu kümmern.

Entscheidungen der letzten Zeit wurden allein unter dem Blickwinkel der Lokalpolitik getroffen, ohne sich um Konsequenzen auf internationaler Ebene zu kümmern. Das beweisen Formulierungen wie »Entschädigung« statt »Eigentumsrückgabe« oder schon ganz unverhüllt »jüdische Forderungen«.

In den Ton des Diskurses schreiben sich auch die Worte des Premiers ein: »Jeder der 300.000 Juden, die den Krieg überlebten, überlebte, weil er einen Polen traf« – was natürlich die Unwahrheit ist. Als studierter Historiker sollte er das wissen.

Schockiert hat mich auch seine Feststellung eines nunmehr notwendigen besonderen Schutzes für die Kinder von Botschafter Marek Magierowski, dessen Rückkehr aus dem Heimaturlaub die Regierenden in Israel als unerwünscht bezeichneten. Dachte er tatsächlich, dass den Kindern nun etwas in Israel passieren könnte, oder hatte er andere Gründe, warum er das sagte?

PARTEINAHME Auch wenn die Worte der Politiker einen Schatten auf die polnisch-israelischen Beziehungen werfen, so sind die Erklärungen über das »Ende der Reprivatisierungsmafia« oder die »wilde Reprivatisierung« doch eher lächerlich. Über 30 Jahre ohne jede rechtliche Regulierung hat jedem mit den richtigen Kontakten genug Zeit gegeben, seine Angelegenheiten zu erledigen. Keiner der Politiker, unabhängig von seiner Parteizugehörigkeit, riskierte eine Parteinahme für polnische Staatsbürger, die keine Juden sind, obwohl das unbedingt jemand hätte tun sollen.

Nicht nur Juden haben ihr Eigentum während des Zweiten Weltkriegs oder nach 1945 verloren.

Denn es haben ja nicht nur Juden ihr Eigentum während des Zweiten Weltkriegs oder nach 1945 verloren. Andererseits ist die Zahl der Opfer, die erst von Nazis, dann von Kommunisten beraubt wurden, geringer als diejenige der Wähler, denen eine solche Geste der Eigentumsrückgabe nicht gefallen könnte. Es ist eine kühle Kalkulation.

Die schwierigen polnisch-jüdischen Beziehungen, die durch Prozesse gegen Holocaust-Forscher erschwerte Aufarbeitung der Schoa, die antisemitischen Äußerungen von Politikern oder auch die Hasswelle im Internet steuern auf immer weitere Tiefpunkte zu. Es ist kein Ende abzusehen.

Der Autor ist ehemaliger Vorsitzender des Jüdischen Gemeindeverbands Polens.

Meinung

Kennen Sie Abed Hassan?

Medien feiern den Berliner als »deutsche Stimme aus Gaza«, dass er den Terror der Hamas verharmlost, scheint sie nicht zu stören

von Susanne Stephan  22.01.2025

Meinung

Trump und Israel: Eine unbequeme Wahrheit

Der designierte 47. US-Präsident hat noch vor Amtsantritt mit seiner Nahostpolitik der maximalen Abschreckung und Härte mehr in Israel und Gaza erreicht als die Biden-Administration und die Europäer in den vergangenen 13 Monaten

von Philipp Peyman Engel  21.01.2025 Aktualisiert

Meinung

Wenn Freunde peinlich werden

Das Auswärtige Amt hat einem deutsch-israelischen Stand bei der Frankfurter Buchmesse eine Absage erteilt. Ein Armutszeugnis für Außenministerin Baerbock, findet unsere Redakteurin Ayala Goldmann

von Ayala Goldmann  21.01.2025 Aktualisiert

Kommentar

Trump 2.0 wird den Nahen Osten erneut verändern

Carsten Ovens erläutert Chancen und Risiken der künftigen US-Außenpolitik

von Carsten Ovens  21.01.2025

Kommentar

Bleibt stark, Emily, Romi und Doron!

Die drei jungen Frauen sind endlich in Israel. Emily Damari gab nach ihrer Freilassung ein Zeichen, das ihren Schmerz zeigt – aber viel mehr noch ihre Kraft

von Katrin Richter  19.01.2025

Meinung

Verrat an Frauen und an der Mitmenschlichkeit

Wie viele Fälle sadistischer Gewalt müssen noch nachgewiesen werden, damit die Welt endlich Mitgefühl mit den Opfern des 7. Oktober zeigen kann?

von Sarah Maria Sander  19.01.2025

Kommentar

Warum bejubelt ihr den Terror, statt euch über Frieden zu freuen?

Ein Kommentar von JA-Chefredakteur Philipp Peyman Engel über die israelfeindlichen Demonstrationen in Berlin-Neukölln nach Verkündung der Gaza-Waffenruhe

von Philipp Peyman Engel  17.01.2025

Meinung

Die linke Tour der Alice Weidel

Mit ihren Aussagen zu Adolf Hitler im Gespräch mit Elon Musk hat die AfD-Chefin erneut ihre Inkompetenz bewiesen

von Michael Thaidigsmann  17.01.2025

Meinung

Ein Waffenstillstand ohne Sieger

Nicole Dreyfus wägt Chancen und Risiken des sich abzeichnenden Abkommens zwischen Israel und der Hamas ab

von Nicole Dreyfus  16.01.2025