Die Entscheidung des polnischen Parlaments über die Restitution des zuerst von den Nazis und dann von den Kommunisten geraubten Eigentums ist vielleicht schockierend, aber mit Sicherheit nicht überraschend. Die Frage der Restitution von Eigentum – nicht nur des jüdischen – kam seit 1989 immer wieder auf. Da Polen innerhalb von 30 Jahren nach dem Fall des Kommunismus keine Lösung gefunden hat, heißt das wohl, dass sich niemand, unabhängig von der politischen Couleur der gerade Regierenden, ernsthaft für das Thema interessierte.
Israels Reaktion mag einigen als übertrieben erscheinen. Vielleicht sollte Außenminister Lapid in einigen seiner Aussagen seine Worte besser wählen, aber Israel ist eben der Staat, zu dessen Aufgaben auch die Verteidigung der Juden vor jedweder Ungerechtigkeit gehört. Auch wenn Lapids Reaktionen womöglich einem politischen Kalkül folgen.
TON So oder so – die geduldig aufgebauten polnisch-israelischen Beziehungen wurden schon durch das »Holocaust-Gesetz« 2018 geschwächt und liegen nun in Trümmern. Für Israel ist das im Moment kein großes Problem. Wie sich das Abkühlen der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und auch militärischen Zusammenarbeit auf Polen auswirkt, wird sich zeigen.
Entscheidungen der letzten Zeit wurden allein unter dem Blickwinkel der Lokalpolitik getroffen, ohne sich um Konsequenzen auf internationaler Ebene zu kümmern.
Entscheidungen der letzten Zeit wurden allein unter dem Blickwinkel der Lokalpolitik getroffen, ohne sich um Konsequenzen auf internationaler Ebene zu kümmern. Das beweisen Formulierungen wie »Entschädigung« statt »Eigentumsrückgabe« oder schon ganz unverhüllt »jüdische Forderungen«.
In den Ton des Diskurses schreiben sich auch die Worte des Premiers ein: »Jeder der 300.000 Juden, die den Krieg überlebten, überlebte, weil er einen Polen traf« – was natürlich die Unwahrheit ist. Als studierter Historiker sollte er das wissen.
Schockiert hat mich auch seine Feststellung eines nunmehr notwendigen besonderen Schutzes für die Kinder von Botschafter Marek Magierowski, dessen Rückkehr aus dem Heimaturlaub die Regierenden in Israel als unerwünscht bezeichneten. Dachte er tatsächlich, dass den Kindern nun etwas in Israel passieren könnte, oder hatte er andere Gründe, warum er das sagte?
PARTEINAHME Auch wenn die Worte der Politiker einen Schatten auf die polnisch-israelischen Beziehungen werfen, so sind die Erklärungen über das »Ende der Reprivatisierungsmafia« oder die »wilde Reprivatisierung« doch eher lächerlich. Über 30 Jahre ohne jede rechtliche Regulierung hat jedem mit den richtigen Kontakten genug Zeit gegeben, seine Angelegenheiten zu erledigen. Keiner der Politiker, unabhängig von seiner Parteizugehörigkeit, riskierte eine Parteinahme für polnische Staatsbürger, die keine Juden sind, obwohl das unbedingt jemand hätte tun sollen.
Nicht nur Juden haben ihr Eigentum während des Zweiten Weltkriegs oder nach 1945 verloren.
Denn es haben ja nicht nur Juden ihr Eigentum während des Zweiten Weltkriegs oder nach 1945 verloren. Andererseits ist die Zahl der Opfer, die erst von Nazis, dann von Kommunisten beraubt wurden, geringer als diejenige der Wähler, denen eine solche Geste der Eigentumsrückgabe nicht gefallen könnte. Es ist eine kühle Kalkulation.
Die schwierigen polnisch-jüdischen Beziehungen, die durch Prozesse gegen Holocaust-Forscher erschwerte Aufarbeitung der Schoa, die antisemitischen Äußerungen von Politikern oder auch die Hasswelle im Internet steuern auf immer weitere Tiefpunkte zu. Es ist kein Ende abzusehen.
Der Autor ist ehemaliger Vorsitzender des Jüdischen Gemeindeverbands Polens.