Wir leben im 21. Jahrhundert. Wir haben Zugang zu pränatalen Untersuchungen, Operationen im Mutterleib, medizinischem Wissen. Dennoch beschließt der polnische Staat, Frauen das Recht auf eine Abtreibung auch dann zu verweigern, wenn »eine hohe Wahrscheinlichkeit einer schweren und irreversiblen Beeinträchtigung des Fötus oder einer unheilbaren, lebensbedrohenden Krankheit besteht«.
Die in dem Urteil des Verfassungsgerichts vorgetragene These verstößt eindeutig gegen den verfassungsmäßigen Schutz der Gesundheit und des Lebens von Frauen und führt unser Land ins Mittelalter zurück.
FREIHEIT Als Jüdin und Mutter wünsche ich den Kampf mit der polnischen Wirklichkeit niemandem. Wie können wir das verstehen, wenn nicht als einen Anschlag auf unser Leben und unsere Freiheit? Ja, wir Frauen beten seit den Tagen von Sarah und Rachel, das Leben in uns zu tragen, aber Privileg und Freude für die einen kann für andere Schmerz und Last sein.
Vor einigen Jahren habe auch ich an Rachels Grab für eine gesund ausgetragene Schwangerschaft gebetet, einige Tage später hatte ich zum fünften Mal eine Fehlgeburt. Ich weiß, dass der Defekt so schwerwiegend war, dass der Körper für mich entschieden hatte.
Es ist unser Recht, zu entscheiden, ob wir die Kraft haben, Leben in uns zu tragen. Das Judentum versteht das.
Es ist unser Recht, zu entscheiden, ob wir die Kraft haben, Leben in uns zu tragen. Das Judentum versteht das, das Judentum erlaubt das, fragt die Frau, ob sie es schaffen wird.
Katholische Frauen stehen vor den Kirchen mit Vorwürfen. Aber was soll ich meiner jüdischen Tochter sagen? Dass im Judentum der Fötus als Teil der Frau gesehen wird, solange die Schwangerschaft andauert, und bis zum Zeitpunkt der Geburt nicht als eigenständige Person betrachtet wird? Dass die Mutter, ihre Gesundheit und ihre Bedürfnisse das Wichtigste sind?
SELBSTBESTIMMUNG Als Jüdin in Polen kann ich mich nicht auf rabbinische Interpretationen berufen, weil ich durch das aus der Theologie der katholischen Kirche abgeleitete Gesetz eingeschränkt bin. Ich fühle mich von meinem säkularen Staat betrogen und im Stich gelassen.
Deshalb verlassen wir, jüdische Mütter, Töchter, Ehemänner, am Schabbat trotz der Pandemie unsere Häuser und gehen, Tag für Tag, durch die Straßen Warschaus und Polens – für Wahlfreiheit und Selbstbestimmung. Ohne patriarchalische Herrschaft.
Die Autorin ist Direktorin für Jüdische Erziehung an der Lauder-Schule in Warschau.