Etwas Ungeheuerliches geschah in diesen Tagen in Polens Hauptstadt Warschau: Im Deutschen Historischen Institut geht ein bekannter Rechtsaußen-Politiker breitbeinig auf den polnisch-jüdischen Historiker Jan Grabowski los, entreißt ihm das Mikrofon, zertrümmert es auf dem Rednerpult und ruft: »Es reicht!« Doch als die Polizei eintrifft, tut sie nichts. Denn Grzegorz Braun zückt triumphierend seinen Abgeordnetenausweis. Er genießt Immunität.
leumund Als der Randalierer, der den »guten Leumund Polens verteidigen« will, den wissenschaftlichen Vortrag »Die (wachsenden) Probleme der Polen mit dem Holocaust« für beendet erklärt, verziehen die Gesetzeshüter zwar das Gesicht, tun aber, was Braun von ihnen verlangt: Sie schicken die Zuhörer aus dem Saal. Das Hausverbot, das die Veranstalter gegen Braun aussprechen, ändert nichts mehr.
Dem Politiker werden gute Kontakte »nach ganz oben« nachgesagt, und keiner der Polizisten will seine Karriere riskieren.
Die antisemitischen Attacken auf Forscher sind in Polen keine Einzelfälle mehr.
Der Eklat sorgt zu Recht für große Empörung. Weltweit, aber vor allem in jüdischen Organisationen. Dabei sollte die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit in Polen alle angehen. Denn dem physischen Angriff auf Grabowski ging die Verbalattacke von Premier Tadeusz Morawiecki und dem polnischen Bildungs- und Wissenschaftsminister Przemyslaw Czarnek gegen die Holocaust-Forscherin Barbara Engelking voraus.
Gelder Deren Aussagen in einem Interview seien »skandalös, antipolnisch und wissenschaftlich unredlich«, so Morawiecki von der rechtspopulistischen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS). Dabei hatte die Wissenschaftlerin nur bedauert, dass ihre Landsleute im Krieg öfter Juden an die Nationalsozialisten verraten hätten, als ihnen zu helfen. Diese, für die meisten Fachhistoriker völlig unumstrittene, Äußerung ließ den Bildungsminister zur Finanzkeule greifen. Er kündigte an, nicht nur Engelking die Gelder zu kürzen, sondern auch allen Wissenschaftlern, die sich mit ihr solidarisch erklärt hatten.
Die antisemitischen Attacken auf Forscher sind in Polen keine Einzelfälle mehr. Niemand ist davor sicher.
Die Autorin ist Journalistin in Warschau.