Paris hat ein großes Selbstbewusstsein. Ein gutes Beispiel ist der Slogan des Fußballklubs PSG: »Ici, c’est Paris«, das hier ist Paris. Als Pariser muss man Gegner weder beleidigen noch eigene Vorzüge betonen. Um Respekt einzuflößen, reicht die Feststellung, dass man in Paris sei.
In meinen zweieinhalb Jahren dort habe ich das Pariser Selbstverständnis, im Vergleich zu anderen Franzosen und überhaupt allen auf der Welt etwas ganz Besonderes zu sein, lieben gelernt.
stadtbild Aber wie jede Eigenschaft treibt auch dieses Selbstbewusstsein manchmal Blüten, die nicht zu rechtfertigen sind. Wie nun bekannt wurde, weigert sich die Stadtregierung, Gehwege für Stolpersteine in Erinnerung an Holocaustopfer freizugeben. »Das passt nicht ins Stadtbild«, hätte ich als eine für Paris typische Begründung erwartet.
Tatsächlich ist es aber eine andere: Es sind nicht genügend französische Juden umgebracht worden, um an sie zu erinnern. Da 75 Prozent der jüdischen Franzosen die Schoa überlebt haben, würden Stolpersteine laut Rathaus die Geschichte falsch darstellen.
Da 75 Prozent der jüdischen Franzosen die Schoa überlebt haben, würden Stolpersteine laut Rathaus die Geschichte falsch darstellen.
Damit übersieht die Stadt den Sinn der Steine. Mit ihnen werden Schicksale einzelner Menschen, die vernichtet und vertrieben wurden, einem breiten Publikum zugänglich gemacht. »Nur« ein Viertel getötete Juden in einem von Deutschland besetzten Land ist eine vergleichsweise geringe »Vernichtungsquote«.
Es wurden dennoch fast 75.000 französische Juden vergast. Viele trieb die Pariser Polizei bereitwillig vor der Deportation zusammen. Auch Juden, die überlebt haben, fehlen nach Vertreibung und Flucht im heutigen Paris, das sie historisch geprägt hatten. Sollen sie vergessen werden?
EXZEPTIONALISMUS Hier ist weniger Exzeptionalismus gefordert. Paris sollte sich ausnahmsweise an die Gepflogenheiten, die im restlichen Frankreich gelten, anpassen. In Bordeaux, Straßburg und anderen Städten wurden in den vergangenen Jahren Stolpersteine verlegt.
Echtes Selbstbewusstsein entsteht auch durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Die ist in Paris oft glorreich, erfolgreich und schön – aber eben leider nicht immer.
Der Autor ist Politikberater in Berlin.