Mit den Bewertungen des European Song Contest (ESC) ist es wie mit Sportwetten – es kann so ausgehen wie getippt, aber meist kommt es anders. Seit neben den Jurys auch das gemeine Volk via Televoting zu 50 Prozent das Sagen hat, ist auf kaum noch etwas Verlass, auch die Jurys scheinen umzudenken. Und selbst die in Marmor gehauenen 12 Punkte von Griechenland für Zypern hatten 2023 keinen Bestand mehr.
Auf eines allerdings ist bei aller Volatilität Verlass. Weder Jury noch votende Bundesbürger können sich anscheinend dafür erwärmen, Israel zu unterstützen.
Auftritt Da kann Noa Kirels Auftritt noch so perfekt, der Song noch so professionell auf Publikumswünsche hin komponiert und die Begeisterung für die charmante und vor allem tonsichere Interpretin noch so groß sein. Aus Deutschland heißt es kontinuierlich »zéro points«. Das geht schon seit 2019 so. Einzig Netta erhielt im Jahr ihres Sieges 2018 einen Gnadenpunkt von den deutschen Jurorinnen und Juroren, das Televoting-Volk bedachte sie mit Platz zwei.
Woran mag es liegen, dass selbst das seichte Plastikpop-Geträller der polnischen ESC-Lolita Blanka trotz dünnsten Stimmchens und armseliger Bühnenpräsenz vier Punkte beim deutschen Voting-Volk erzielte oder die woken tschechischen Schwesternchöre von Vesna bei der Jury 5 Punkte holten – Noa hingegen trotz bester Performance leer ausging?
Kollektiv Geschmack ist nun mal nicht justiziabel und jenseits der Ukraine-Solidarität sollte der Gesangswettstreit auch nicht unnötig politisiert werden. Was aber auffällt, ist die mangelnde Empathie für Israel und somit auch die Gleichgültigkeit gegenüber dem Land und seinen künstlerischen Beiträgen. Israel kommt in der Kollektivwahrnehmung hierzulande anscheinend nicht vor – es sei denn, es gibt etwas zu kritisieren.
Mit allem scheinen sich Jury und Voter identifizieren zu können, nur nicht mit Israel – schade. Immerhin gab’s aus Israel auch die Doppelnull für Deutschland. Aber das mag durchaus am Titel gelegen haben.
Der Autor ist Journalist und lebt in Hamburg.