Meinung

NS-Raubkunst: Eine bayerische Farce

Michael Hulton lebt in den USA.

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NS-Raubkunst: Eine bayerische Farce

Die Staatsgemäldesammlung Bayerns soll große Raubkunstbestände verheimlicht haben. Unser Autor erhebt schwere Vorwürfe gegen den Freistaat

von Michael Hulton  27.02.2025 13:15 Uhr

Mein Großonkel Alfred Flechtheim war ein bekannter jüdischer Kunsthändler. In der NS-Zeit wurde er schon früh zur öffentlichen Zielscheibe, wurde verleumdet, belästigt und mit dem Tode bedroht. Sein Geschäft wurde beschlagnahmt, sein Besitz von den Nazis geplündert. Die Empfänger der gestohlenen Kunstwerke sowie spätere Käufer profitierten von diesen Beschlagnahmungen und erwarben die Stücke zu äußerst günstigen Preisen. In vielen Fällen sind es heute in Deutschland die öffentlichen Museen, die von Raubkunst profitieren.

Für mich hat diese Angelegenheit etwas sehr Persönliches. Die Schwester meines Vaters, meine Tante Rosi, durch Kinderlähmung Halbinvalide geworden, arbeitete in der Berliner Galerie von Großonkel Alfred. Ich habe ihre verzweifelten Briefe gelesen.

Ich habe vor dem sogenannten »Judenhaus« gestanden, in das sie und meine Großmutter gezwungen wurden und wo sie mit Barbituraten versetzten Milchreis schlucken mussten. Nur durch den Tod entkamen sie ihrem Transport »nach Osten« am darauffolgenden Tag, so wie Alfred Flechtheims Witwe Betty ein Jahr zuvor. In ihren Zimmern befanden sich einige Überreste seiner stilbildenden Sammlung. Nachdem sie auf den zu erwarteten Selbstmord gewartet hatten, versiegelten Mitarbeiter der Gestapo die Zimmer.

Die Bestandsliste, welche die Nazis wie besessen noch erstellt haben müssen, haben wir noch nicht gefunden. Dennoch tauchen einige Werke auf, wie Ernst Ludwig Kirchners großes Gemälde »Artilleristen/Soldatenbad«, das 2018 vom New Yorker Guggenheim-Museum restituiert wurde.

In der vergangenen Woche machte die »Süddeutsche Zeitung« eine interne Liste der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen öffentlich. Damit wurde deutlich, dass der Freistaat große Raubkunstbestände in seinen Museen verheimlicht hat. Rund 200 Werke müssten eigentlich zurückgegeben werden. Weitere etwa 800 werden als »wahrscheinlich geraubt« eingestuft. Mit so vielen geraubten Kunstwerken könnte man ein eigenes Museum bestücken, ähnlich wie das einst von Hitler geplante »Führermuseum« in Linz.

Der Freistaat Bayern hat beschwichtigt, die Verfahren verzögert und unsere Bemühungen abgewiesen.

Seit 2008 versuche ich, Informationen zu erhalten, fordere Transparenz und engagiere Anwälte und Historiker, um die vielen Kunstwerke aufzuspüren, die meinem Großonkel gestohlen wurden. Wir haben unzählige Briefe an Museumsdirektoren geschrieben und mit Regierungsbeamten gesprochen, vor allem in Bayern. Sie haben beschwichtigt, die Verfahren verzögert und unsere Bemühungen abgewiesen. Selbst als die Beweise unwiderlegbar waren, wie im Fall der Picasso-Bronze »Fernande«, weigerten sie sich, zu restituieren. Die Begründung: Es fehle der »endgültige Beweis«.

Dank der Whistleblower und der Medien wissen wir jetzt, dass der gesamte Restitutionsprozess nur eine Farce war. In eklatanter Verletzung der »Washingtoner Prinzipien« von 1998, eines internationalen Abkommens, hat der Freistaat Bayern nie die Absicht gehabt, etwas zurückzugeben, sondern wollte seine Version eines »Führermuseums« behalten.

Noch etwas Persönliches: Meine medizinische Laufbahn nahm wegen der Aids-Krise einen anderen Verlauf als ursprünglich geplant. Und ich bin stolz darauf, dass ich heute mit den Erlösen aus der Restitution von Alfred Flechtheims Werken die laufende Forschung unterstützen kann.

Der Autor ist pensionierter Mediziner und lebt in den USA.

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