Meinung

Patrick Bahners und die »Vorgeschichte« zu den Hetzjagden in Amsterdam

Fans von Maccabi bei ihrer Rükommen am Freitag aufgelöst am Flughafen Ben Gurion nahe Tel Aviv an. Foto: Copyright (c) Flash 90 2024

Jetzt, da wieder Juden durch die Straßen Europas gejagt werden, sei es gestattet, darauf hinzuweisen, dass es da eine »Vorgeschichte« gibt. Tatsächlich ist es nicht nur eine, nein, es sind viele Vorgeschichten.

Früher hieß es, die Juden hätten Gott getötet. Das wird natürlich schon im christlichen Neuen Testament widerlegt. Es waren in Wahrheit die Römer, die Jesus gekreuzigt hatten.

Im Mittelalter hieß es, Juden hätten die Brunnen vergiftet, seien schuld an der Pest und an anderen Heimsuchungen. Auch das stimmte natürlich nicht. Dennoch hielt sich das Gerücht hartnäckig.

Später wurden Juden für die Ausbreitung des Kommunismus verantwortlich gemacht, obwohl weder Lenin noch Stalin jüdisch waren. Es hieß, Juden hätten im Ersten Weltkrieg Deutschland das Messer in den Rücken gestoßen. Dabei hatten Zehntausende Juden dem Kaiser als treue Soldaten gedient.

Lesen Sie auch

Als die Nazis an die Macht kamen, hieß es, die Juden zersetzten die »arische Rasse«, sie wurden entrechtet und ausgrenzt. Und selbst als am 9. November 1938 im ganzen »Großdeutschen Reich« die Synagogen brannten und jüdische Geschäfte verwüstet wurden, brauchte es noch einer Erklärung. Ein polnischer Jude sei schuld, dass sich der Volkszorn entladen habe, hieß es, weil der einen deutschen Diplomaten in Paris erschossen habe.

Nein, Antisemiten waren schon immer gut im Fach »Vorgeschichte«.

Auch der 7. Oktober 2023 hatte für viele eine Vorgeschichte. Und natürlich hatten auch die Pogrome von Amsterdam eine, wie könnte es anders sein.

Daniel SchwammenthalFoto: AJC

Ein entscheidender Punkt wird dabei leider ignoriert: Sie waren längst geplant, das heißt, noch bevor die Fans der israelischen Mannschaft von Maccabi Tel Aviv ihre unsäglichen Parolen brüllten.

Das interessiert einige Journalisten aber nicht. Sie haben sich schon eine Vorgeschichte zurechtgelegt, um die Ausschreitungen zu relativieren. Denn ohne Relativierung des Antisemitismus geht es bekanntlich auch nicht.

Ich frage mich nur: Würde die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, würde ihr Feuilleton-Redakteur Patrick Bahners genauso argumentieren, hätten Hunderte Neonazis Muslime durch die Straßen gejagt, sie bewusstlos geschlagen und sie in einen eiskalten Kanal getrieben?

Hätte man dann auch erklärt, dass die Gewalt ja nicht »aus heiterem Himmel kam«? Hätte man als Auslöser die Erklärung akzeptiert, dass eine andere Gruppe von Muslimen ja eine deutsche Fahne abgerissen und auf Arabisch antideutsche Parolen gesungen habe?

Nein, so würde in diesem hypothetischen Fall – den es Gott sei Dank nicht gibt – wahrscheinlich niemand argumentieren, außer vielleicht die üblichen Verdächtigen am äußersten rechten Rand. Niemand würde versuchen, die furchterregende Gewalt eines gut organisierten Mobs gegenüber einer bestimmten Gruppe mit irgendeiner Vorgeschichte zu erklären. Aber bei den Juden, da ist das erlaubt, da ist das gang und gäbe.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Nicht nur wurde angezweifelt, dass Juden überhaupt Opfer waren. Nein, es wurde sogar behauptet, sie steckten hinter der Gewalt. Ein deutscher Politiker vom Bündnis Sahra Wagenknecht spekulierte, der Mossad stecke hinter den Ausschreitungen.

Wie uns die Bibel im Buch Kohelet (Prediger) schon seit mehr als 2000 Jahren lehrt: Es gibt nichts Neues unter der Sonne.

Pogrome brauchen bekanntlich nicht nur Personen, die die Gewalt ausüben. Sie brauchen auch die Schreibtischtäter, die sie dem Volke schmackhaft machen. Und solche, die sie anschließend relativieren. Denn schlussendlich sind wir Juden ja selbst schuld an dem  Unglück, das uns da widerfährt.

Der Autor ist Geschäftsführer des Transatlantic Institute des American Jewish Committee in Brüssel.

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  18.11.2025

Jubiläum

Weltliteratur aus dem Exil: Vor 125 Jahren wurde Anna Seghers geboren

Ihre Romane über den Nationalsozialismus machten Anna Seghers weltberühmt. In ihrer westdeutschen Heimat galt die Schriftstellerin aus Mainz jedoch lange Zeit fast als Unperson, denn nach 1945 hatte sie sich bewusst für den Osten entschieden

von Karsten Packeiser  18.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  18.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  18.11.2025

Literatur

John Irvings »Königin Esther«: Mythos oder Mensch?

Eigentlich wollte er keine langen Romane mehr schreiben. Jetzt kehrt er zurück mit einem Werk über jüdische Identität und Antisemitismus

von Taylan Gökalp  18.11.2025

TV-Tipp

»Unser jüdischer James Bond«

Die Arte-Doku »Der Jahrhundert-Spion« erzählt die schillernde Lebensgeschichte des Ex-CIA-Agenten Peter Sichel, der seinerzeit den Ausbruch des Kalten Kriegs beschleunigte

von Manfred Riepe  17.11.2025

Miss-Universe-Show

Miss Israel erhält Todesdrohungen nach angeblichem Seitenblick

Auch prominente Israelis sind immer öfter mit Judenhass konfrontiert. Diesmal trifft es Melanie Shiraz in Thailand

 17.11.2025

Aufgegabelt

Noahs Eintopf

Rezepte und Leckeres

 16.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025