»Das Internet ist für uns alle Neuland.« Das ist ein Satz, für den Angela Merkel belächelt, ja geradezu ausgelacht wurde. Ein Satz, der schon jetzt in die Geschichte ihrer Kanzlerschaft eingegangen ist und geradezu bildhaft für diese steht.
Und, das gehört auch zur Wahrheit, es war ein Satz, mit dessen Botschaft sie rechtbehalten sollte und mit dem sie sich im Jahr 2013 vorausschauender war als so manch einer, der damals zu den Lachenden gehörte und sich das jetzt nicht eingestehen will.
REGELN Das Internet ist ein gefährliches Neuland, wie sich gezeigt hat, vor allem dann, wenn von der Politik nicht die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden. In den letzten Jahren äußerte sich das verstärkt: Etwa durch Hatespeech in den sozialen Medien, Wählerbeeinflussung, Radikalisierung im Netz oder aber auch, wenn die Neue Rechte von einem »Informationskrieg« spricht.
Es gibt viele offene Fragen: Ist das Internet ein rechtsfreier Raum? Eine Nachverfolgung fällt nicht nur durch die weit verbreitete Anonymität im Netz schwer. Auch ist die Justiz mit der schieren Menge der Inhalte überfordert.
Mit dem Tempo des Internets kann die Realität nur schwer mithalten. Wer bestimmt die Regeln? Sind es etwa Twitter, Facebook & Co. selbst? Wird diesen Milliardenkonzernen nicht viel zu viel Macht eingeräumt? Welche Algorithmen leiten uns? Müssen Freiheit und Sicherheit im digitalen Zeitalter neu verhandelt werden? Es sind Fragen, die essenziell sind, denn es geht um den Erhalt der Demokratie. Das Internet birgt in vielerlei Hinsicht die Gefahr, diese auszuhöhlen und den Diskurs zu vergiften.
DISRUPTION Erst letztes Jahr im August wurde gut sichtbar, wie eine Stimmung aus dem Netz in die Realität überschwappen kann. Es entstand eine Dynamik, die letztlich darin mündete, dass Reichskriegsflaggen auf den Stufen des Reichstagsgebäudes geschwenkt wurden. Nur drei Polizeibeamte waren es, die diese Menschen mit bloßen Händen davon abhielten, in das Gebäude einzudringen. Da erhält der Begriff »,wehrhafte« Demokratie« fast eine wortwörtliche Bedeutung.
Und auch wenn mein Rechtsprofessor den Begriff »Disruption« nicht leiden kann – genauso muss man das, was hier geschieht, benennen. Das Internet stellt eine Disruption für Justiz und Gesellschaft dar. Das Internet hat nicht höflich an der Tür der Realität angeklopft. Nein, ehe wir uns versahen, hatte es diese bereits mit gewaltiger Wucht eingetreten. Mit all den bekannten Folgen. 2013 hatten viele die Tragweite des Internets noch gar nicht begriffen – die Bundeskanzlerin schon.
Nach 16 Jahren Kanzlerschaft wird sie wohl wieder »Neuland« betreten – diesmal den Ruhestand. Deutschland ohne »Mutti«: Für viele, gerade auch Erst- und Jungwähler wie mich bei dieser Bundestagswahl, ist das schwer vorstellbar. Schließlich sind wir mit ihr groß geworden, Merkel war – neben Jogi Löw – eine Konstante.
RATIONALITÄT »Wenn Merkels Hose Feuer fangen würde, würde sie die Flammen entschieden zurückweisen«, brachte der Publizist Roger Willemsen Merkels Politikstil auf den Punkt. Emotionen oder mitreißende Reden sucht man bei Merkel vergeblich. Und doch muss ich zugeben: Diese Unaufgeregtheit, Merkels »Unpopulismus«, ist herrlich erfrischend, vor allem, wenn man sich mal die Regierungschefs anderer großer Nationen anschaut.
Rationalität und Pragmatismus, davon lässt sich die gelernte Physikerin leiten. Das hat sie auch in all den Krisen offenbart, die sie zu bewältigen hatte und die ihr den Titel »Krisenkanzlerin« einbrachten.
Ihre Wortwahl ist stets bedacht, trocken und nüchtern. Auf internationalem Parkett hat sie ihr diplomatisches Geschick eingesetzt und die westlichen Werte verteidigt. Wie verfahren die Situation auch war, sie ließ die Gespräche nie abreißen, die Hand war immer ausgestreckt.
STIL Und wenn wir ehrlich sind: Natürlich war es gut, mit einer Frau im Amt der Bundeskanzlerin aufzuwachsen. Eine Bundeskanzlerin, das war für mich normal. Vielleicht auch, weil sie nie ein großes Aufheben darum gemacht, sondern das Prinzip von Gleichberechtigung einfach gelebt hat. Diese Selbstverständlichkeit, auch ausgedrückt in dem inzwischen alten Witz »Mama, kann eigentlich auch ein Mann Bundeskanzlerin werden?«: Auch das ist ein Verdienst Merkels (vielleicht auch unbewusst) für den Feminismus.
Mit ihrem Politikstil erfreut sich die Kanzlerin großer Beliebtheit im Land. Denn, so lautet oft die Begründung von Beobachtern, ›sie hat die Deutschen nie »mit Politik belästigt«. Und gleichzeitig ist es das, was ihr die Opposition vorwirft. Stillstand und Lethargie – Merkels Stil sei symptomatisch für ihre Politik, lautet der Vorwurf. Und auch aus der CDU muss sie sich die Kritik anhören, die eigene Partei inhaltlich entkernt zu haben.
REKORD Eine politische Bewertung soll an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. Merkels Stil hingegen hat ihr weltweit großen Respekt und Anerkennung eingebracht. Als vor ein paar Tagen der neu gewählte Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung in Berlin zusammentrat, endete offiziell Merkels Regierungszeit. Da aber noch keine neue Regierung gebildet ist, hat der Bundespräsident sie gebeten, das Amt geschäftsführend weiterzuführen. Diese Übergangszeit ist im Grundgesetz genau geregelt.
Ob Merkel dann noch den Amtszeit-Rekord von Helmut Kohl bricht? Das hängt davon ab, wie lange die Koalitionsverhandlungen der Ampelkoalition dauern werden. Damit das klappt, müssten diese mindestens noch bis zum 17. Dezember gehen. Bekommen wir sogar eine weitere Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin? Das scheint möglich, wenn auch im Moment unrealistisch.
Das Ende einer Ära, es rückt näher. Nach 16 Jahren Angela Merkel heißt es jetzt, um es mit den Worten Andrea Boccellis und Sarah Britghtmans aus ihrem Duett auszudrücken, »Time to Say Goodbye«. Zumindest zum Abschied darf es etwas emotional sein, oder?
Die Autorin ist ELES-Stipendiatin und lebt in München.