Im vergangenen halben Jahr haben sich 80 Millionen deutsche Ukraine-Experten in 80 Millionen Israel-Palästina-Experten verwandelt, die sich kritisch-besorgt über den Raum des östlichen Mittelmeers beugen und allerlei hilfreiche Lektionen aus der deutschen Geschichte anbieten.
Angesichts der furchtbaren Bilder aus Israel und dem Gazastreifen verschwinden dabei zunehmend die Grautöne und Ambivalenzen: Die eine Seite wirft mit den Kampfbegriffen der US-amerikanischen Campus-Linken um sich (»Apartheid!«, »Genozid!«), die andere Seite denkt offen darüber nach, ob es die Palästinenser überhaupt gibt – und hält jeden Verweis auf postkoloniale Theorie für offenen Antisemitismus.
Die stärksten Meinungen zu Israel und Palästina findet man konsequent dort, wo niemand Hebräisch oder Arabisch spricht.
Auch im akademischen Betrieb fällt dabei auf: Die stärksten Meinungen zu Israel und Palästina findet man konsequent dort, wo niemand Hebräisch oder Arabisch spricht. Bei anderen Konflikten nimmt man sich vornehm zurück – wer möchte sich schon zu Westpapua äußern? Bei Israel und Palästina reicht dagegen eine oberflächliche Edward-Said-Lektüre, ein gemeinsames Mittagessen mit einem palästinensischen Kollegen oder ein kurzer Israel-Urlaub – und schon ist man bereit, den nächsten offenen Brief für die eine oder die andere Seite zu unterschreiben.
Eine Stadt am Neckar zeigt, dass es auch anders gehen kann: In einer engen Kooperation zwischen der Universität Heidelberg und der Hochschule für Jüdische Studien werden seit Jahren Studierende konsequent im Hebräischen und im Arabischen, Türkischen oder Persischen ausgebildet; Seminare und Vorträge erschließen die ganze historische Tiefe des Nahen Ostens und Nordafrikas – jenseits aller medialen Aufgeregtheit.
Wer sich daher für den Nahen Osten interessiert: Bewerbungen für den Master »Nahoststudien« sind jederzeit möglich. Aber zu Vorsicht sei all jenen geraten, die an ihren Kampfbegriffen hängen: Studieren bildet. Die Klischees werden schnell fundiertem Wissen weichen.
Der Autor ist Professor für Israel- und Nahoststudien an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS).