Jom Haazmaut

Mazal tow, Israel!

Melody Sucharewicz, Politikberaterin und Moderatorin Foto: Metin Cherasi

Wer die Wahlen in Israel in europäischen Medien verfolgt hat, kommt wahrscheinlich zu folgendem Fazit: Die Mehrheit der Israelis ist religiös, neigt zum politischen Extremismus und will keinen Frieden mit den Palästinensern. Nichts könnte die Wirklichkeit stärker verzerren.

Information ist das A und O der Meinungsbildung. Aus Meinungen wird Haltung. Aus Haltung Emotion. So entstehen Ressentiments. Dass Information missbraucht, verdreht, verschwiegen oder erfunden werden kann, wissen wir seit der Antike. Wohin Propaganda führen kann, begreifen wir seit Goebbels.

WAHRNEHMUNG Natürlich sind nicht alle Berichte über die Wahlergebnisse in Israel Propaganda. Aber die Diskrepanz zwischen der gesellschaftspolitischen Realität in Israel und ihrer Darstellung sowie Wahrnehmung vor allem in Europa, ist immens.

Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte Netanjahu einen ernst zu nehmenden politischen Konkurrenten: Benny Gantz, Israels 20. Generalstabschef. Nach 38 Jahren im Militär und drei Jahren gesetzlich geregelter Abkühlungszeit gründete er vor vier Monaten die Israel-Resilience-Partei, koalierte mit zwei weiteren Parteien – und schaffte mit Blau-Weiß das Unmögliche: In wenigen Wochen wurde er zum politischen Shooting Star, überlebte politisch den heftigen Wahlkampf und erhielt genauso viele Sitze im Parlament wie Netanjahu – 35 von den 120 Knessetsitzen.

Sein Wahlerfolg blieb begrenzt. Netanjahus rechtes Camp wuchs - unter anderem durch den Zusammenschluss dreier rechter Parteien. Die Ultraorthodoxen haben drei Mandate zugelegt und sind mit insgesamt 16 Sitzen ein wichtiger Koalitionspartner für Netanjahu. Das hat viele Gründe. Einer gehört nicht dazu: Israels Gesellschaft wird nicht ultraorthodox.

Die absolute Mehrheit der Israelis wünscht den Palästinensern ihren eigenen Staat.

PALÄSTINENSER Jüngste Umfragen des Israel Democracy Institute zeigen: 64 Prozent der Israelis wünschen sich eine Mitte-Rechts-Regierung. Weiter: 69 Prozent der Israelis möchten keine ultraorthodoxen Parteien in der Regierung sehen.

Wie stehen die Israelis zu einem palästinensischen Staat? Die absolute Mehrheit wünscht den Palästinensern ihren eigenen Staat. Aber 56 Prozent von ihnen sind der Meinung, dass die Zweistaatenlösung nicht realisierbar ist. Unter anderem, weil die Palästinenser über Jahrzehnte hinweg jede Gelegenheit auf einen eigenen Staat abgelehnt und mit Terror beantwortet haben.

Zu den bekannten Meilensteinen gehören Camp David 2000. Barak serviert Arafat einen palästinensischen Staat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt und über 97 Prozent des Westjordanlandes auf dem Tablett. Arafat bedankt sich mit der Zweiten Intifada, bei der 1400 Israelis von Terroristen ermordet wurden.

Wenn es um politisches Talent geht, hat Netanjahu den Titel »King Bibi« verdient. Er ist ein gigantischer Stratege, und wenn Wahlkampf eine Sportkategorie wäre, hätte er längst die Goldmedaille.

Allein in den letzten zwölf Monaten verübte die Hamas Tausende Attentate gegen Israel.

Korruptionsvorwürfe kein K.O. für Netanjahu? Im Gegenteil, die Vorwürfe erweckten die Schutzinstinkte seiner Base. Die gehört der sozio-ökonomisch schwachen Peripherie an und ist traditionell, emotional mit dem Likud verbunden. Netanjahu ist Teil der kollektiven Identität ganzer Großfamilien. Ein paar Flaschen Champagner und Zigarren kratzen nicht mal an der Oberfläche dieser Bindung.

TRUMP Noch eine Zutat seines Siegercocktails: Netanjahus Erfolge in der internationalen Arena. Wie Supermario hat er in den Wochen vor der Wahl die Goldschätze eingesammelt. Von Trumps Anerkennung der Golanhöhen als israelisches Territorium, Bibis zeremoniellen Empfang im Kreml, dem Staatsbesuch von Präsident Bolsonaro in Jerusalem bis hin zur Anerkennung der iranischen Revolutionsgarde als Terrororganisation durch die USA.

Ein wichtiger Aspekt kommt hinzu: Israel unter Netanjahu geht es gut. Die Wirtschaft boomt, bei einem stabilen Wachstum von über drei Prozent und über 6000 Start-ups pro Kopf, die eine internationale Erfolgsgeschichte nach der anderen landen.

Außerdem schätzen die meisten Israelis Netanjahus couragiertes Auftreten in Bezug auf Iran: die »Intelligence Exposures«, mit denen er die absurde Behauptung des Regimes bloßstelle, das Nuklearprogramm verfolge friedliche Zwecke.

Die Terrorattentate gegen Israel nehmen kein Ende. Die Absurdität, mit der Israel zu kämpfen hat, auch nicht.

Das neuralgische Thema: Sicherheit. Trotz andauernder Terrorwellen galten die letzten vier Jahre unter Netanjahu seit dem Gaza-Krieg 2014 als relativ ruhig. Bis zu diesem Wochenende, an dem 700 Raketen auf Israels Süden prasselten und vier Israelis töteten. Pragmatismus und die Stärke von Israels Verteidigung haben einen Krieg verhindert.

ATTENTATE Allein im letzten Jahr verübte die Hamas Tausende Attentate gegen Israel: 1500 Raketen und Mörsergranaten, Hunderte davon im Wahlmonat, 600 Molotowcocktails, 18 Schießattacken, Dutzende Messerattacken, 2000 entfachte Brände durch Terrordrachen und Ballons, die 3500 Hektar an Land zerstörten und fast zehn Millionen Dollar an Schaden verursachten. Allein in dieser Zeit: 17 israelische Terroropfer, darunter ein vier Tage altes Baby, dessen hochschwangere Mutter von einem Terroristen angeschossen wurde, als sie an der Bushaltestelle wartete.

Anfang Februar ging die 19-jährige Ori Ansbacher in einem Wald südlich von Jerusalem spazieren. Ein Hamas-Anhänger, der nach Israel eindrang, um ein Terrorattentat zu begehen, sah sie, vergewaltigte und erstach sie.

In diesen Tagen feuerte die Hamas 700 Raketen auf Israel. Die UNO reagierte nicht.

Die Grausamkeit nimmt kein Ende. Die Terrorattentate gegen Israel nehmen kein Ende. Die Absurdität, mit der Israel zu kämpfen hat, auch nicht. Einerseits ist Israel eine Schutzwand der westlichen Demokratien und verteidigt die Werte, die Europa sich so schwer erkämpft hat. Andererseits verpasst Europa Israel eine Ohrfeige nach der anderem auf dem UN-Parkett.

Erst in diesen Tagen feuerte die Hamas in wenigen Tagen 700 Raketen auf Israel. Die UNO reagierte nicht. Es hindert die Menschenrechtskommission nicht daran, im selben Zeitraum an einem Tag sieben anti-israelische Reports zu diskutieren. Kein Wort über die elende Menschenrechtssituation in China oder Saudi-Arabien.

ABSURD Ein ärmlicher Diskussionspunkt zum Menschenrechts-Schlachtfeld in Syrien. Die Reports münden in fünf anti-israelische Resolutionen. Eine davon übertrifft sich selbst an Absurdität. Sie heißt: »Human rights situation in Palestine« und erwähnt den Terror gegen Israel nicht ein einziges Mal. Doch – einmal: Terror durch israelische Extremisten.

Präsident Macrons Brief an die israelische Regierung kürzlich ist symptomatisch für die bizarre Haltung Europas zu Israel: Nach endlosen Mahnungen an Mahmud Abbas seitens Israel und den USA, die Gehälter für Terroristen und ihre Familien zu stoppen, hat Israel letztes Jahr ein Gesetz erlassen, das die Terror-Gehälter von den Steuern abzieht, die Israel für die Autonomiebehörde der Palästinenser einsammelt und überweist.

Europa muss diesem Fiasko ein Ende setzen – und endlich handeln.

Alleine 2018 wurden 138 Millionen Dollar an Terroristen gezahlt. Eine von EU-Steuergeldern mitfinanzierte Belohnung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und ein enorm effektives Kapital für den nächsten Anschlag.

Anstatt dass Macron von Abbas forderte, diesen Wahnsinn zu stoppen und das Geld in die Zukunft der Palästinenser zu investieren, bittet er Netanjahu, den Terror-Geldhahn gegen die eigene Bevölkerung wieder aufzudrehen.

VERURTEILUNG Europa muss diesem Fiasko ein Ende setzen. Europäische Staaten, die den Terror in Sri Lanka aufs Schlimmste verurteilen und den Hamas-Terror gegen Israel schweigend hinnehmen, bestärken damit die islamistische Ideologie der Hamas. Die gefährdet Europa genauso wie Israel. Ein seltener Hoffnungsschimmer: die deutliche Verurteilung des Raketenterrors der Hamas durch die EU am Samstag.

Natürlich ist das Verhältnis zwischen Israel und Europa alles andere als nur strapaziert. Die wirtschaftliche und wissenschaftliche Kooperation boomt, und Israel steht an der Seite Europas im Kampf gegen den Terror. Israel beliefert Europa mit Informationen, und die Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste ist intensiv.

Europa hat historisch eine immens wichtige Rolle für Israel. Die Hälfte der Israelis hat europäische Wurzeln.

Israel ist einerseits die Demokratie mit den meisten Terroropfern pro Kopf, andererseits das elftglücklichste Land der Welt. Das hat viele Gründe. Von allen kann Europa profitieren. Unter anderem: Israels technologische Innovation im Kampf gegen den Terror, die Fähigkeiten der Sicherheitsapparate und die immense Widerstandskraft der Gesellschaft – die unzerbrechliche Moral der Menschen in Israel.

Europa hat historisch eine immens wichtige Rolle für Israel. Die Hälfte der Israelis hat europäische Wurzeln. Umso schwieriger ist es zu ertragen, wenn die EU Israel mit Doppelstandards behandelt. Das ist ein K.O. für Israels Verhältnis zu Europa. Aber in erster Linie ist es ein K.O. für Europa.

Die Autorin ist Politikberaterin und lebt in Israel.

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