Nase zuhalten und Die Linke wählen: Das schien das Motto zu sein, nach dem nicht wenige am Sonntag ihr Kreuzchen gemacht haben. In den sozialen Medien konnte man in den Wochen vor der Bundestagswahl mitverfolgen, wie zahlreiche junge Jüdinnen und Juden sowie israelsolidarische Linke mit sich gerungen haben.
Einerseits wünschten sie sich eine starke linke Oppositionspartei, die auch gegen den Trend soziale Themen hochhält und sich traut, von Umverteilung und Vermögenssteuer zu sprechen. Eine Oppositionspartei, die im Parlament nicht nur der AfD die Leviten liest, sondern auch den Parteien der Mitte, sollten die zu sehr mit dem Rechtspopulismus flirten.
Und es stimmt: ein Bundestag ohne die scharfen Reden einer Heidi Reichinnek oder eines Gregor Gysis und ohne die Kleinen Anfragen der Linken, die immer wieder Missstände offengelegt haben, wäre ein ärmerer gewesen.
Andererseits graute den hadernden Wählerinnen und Wählern vor der Außenpolitik der Linkspartei und den vielen Israelfeinden in ihren Reihen. Keine Waffen, weder für den angegriffenen jüdischen Staat noch für die um ihr Überleben kämpfende Ukraine: Gerade für Jüdinnen und Juden, auch die meisten linken, ist das eine uneinnehmbare Position.
Mit einem Argument rechtfertigten einige von ihnen, die Linke dennoch zu wählen: Als kleine Kraft in der Opposition habe die Partei ohnehin keinen außenpolitischen Einfluss. Man wolle Die Linke als Korrektiv, nicht als echte Gestalterin.
Jetzt, nach dem Wahltag, ist äußerst fraglich, ob diese Rechnung aufgegangen ist. Mit überraschenden 8,77 Prozent ist die Linkspartei im Bundestag vertreten, wo sie nun zusammen mit der AfD eine Sperrminorität hat. Mit dieser neuen Sitzverteilung wäre etwa die erforderliche Zweidrittelmehrheit für ein Sondervermögen für die Verteidigung, von dem auch die Ukraine militärisch profitieren würde, kaum vorstellbar.
So hat Die Linke künftig wohl gerade dort ein Wörtchen mitzureden, wo selbst einige ihrer Wähler hofften, dass sie keinen Einfluss haben würde. Zu denken sollte auch geben, dass vor allem die Teile der Linkspartei durch die Wahl gestärkt wurden, die bisher, gelinde gesagt, am wenigsten durch ihren Einsatz gegen Antisemitismus aufgefallen sind.
So ging ein Direktmandat in Berlin an Ferat Koçak, dessen Neuköllner Bezirksverband auf Wahlkampfhilfe des ehemaligen Labour-Chefs Jeremy Corbyn – der den Terror der Hamas konsequent verharmlost – gesetzt hatte, und einem unlängst aus der Partei ausgeschlossenen Mitglied treu die Stange hält, das aus seinem Vernichtungswillen gegenüber Israel nie einen Hehl gemacht hat.
Eine verlässliche Kraft gegen Antisemitismus wird die Linkspartei im neuen Bundestag sehr wahrscheinlich nicht sein. Hat es sich trotz all dessen gelohnt, der Linken am Sonntag die eigene Stimme gegeben zu haben? Einigen sind vermutlich bereits erste Zweifel gekommen. Für sie heißt es nun: Nase zuhalten bis zur nächsten Wahl.
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