Vor anderthalb Jahren hat die »documenta« Juden als Schweine und mit SS-Runen gezeigt, kürzlich bei der Berlinale war von einem »Genozid Israels an den Palästinensern« die Rede, und seit Tagen fordern Tausende Künstler, Israel von der Biennale in Venedig auszuschließen. Was ist nur los mit dem Kunstbetrieb?
Vorbei die Zeit, als der Künstler die Dinge quasi von oben sah, ja vielleicht ein bisschen scharfsichtiger, weiser war als die meisten Menschen oder gar eine moralische Instanz. Die heutige Kunstszene hingegen ist krank. Sie leidet an Hemianopsie, so der medizinische Fachbegriff. Auf Deutsch: Halbseitenblindheit – ein »durch die senkrechte Mittellinie begrenzter, halbseitiger Gesichtsfeldausfall«, schreibt die Fachliteratur.
Der Kunstbetrieb sieht das Leid der Palästinenser in Gaza, die unter den israelischen Bomben leiden. Aber er sieht nicht das Leid der Israelis, die sich vor den Raketen der Hamas verstecken.
Der Kunstbetrieb sieht (zu Recht!) das Leid der Menschen in Gaza, die ohne Obdach sind und manchmal tagelang nichts zu essen haben. Aber er sieht nicht das Leid der israelischen Geiseln, die in den Tunneln der Hamas festgehalten, vergewaltigt, gequält werden. Er sieht das Leid der Palästinenser in Gaza, die unter den israelischen Bomben leiden. Aber er sieht nicht das Leid der Israelis, die sich vor den Raketen der Hamas verstecken. Und er sieht schon gar nicht, wie die Menschen in Gaza unter der Hamas leiden.
Das alles liegt außerhalb des Sichtfelds der Kunstszene.
Doch Hemianopsie ist heilbar. Erfahrene Ärzte empfehlen ein sogenanntes Kompensationstraining. Dabei stehen vor allem Übungen im Fokus der Therapie: Es geht um »gezielte Augenbewegungen und Suchstrategien«.
Durch ein richtig angewandtes Kompensationstraining könnten die Beeinträchtigungen relativ schnell gemindert werden, schreiben Ratgeber. Man kann die blinden Flecken durch intensives Hinschauen wegtrainieren. Voraussetzung ist jedoch: Der Patient muss es wollen.
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