Was muss sich Markus Söder dieser Tage von seinen politischen Mitbewerbern nicht alles anhören: »Selbstbesoffenheit« warf ihm die als Parteivorsitzende krachend gescheiterte Ricarda Lang vor. Als »Hanswurst«, bei dem eine große historische Geste zu einem »Social-Media-Funfact« verkomme, bezeichnete ihn die Kulturstaatsministerin Claudia Roth.
Noch übergriffiger formulierte es der gescheiterte Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück. »Da sind irgendwelche Synapsen nicht richtig verdrahtet bei dem Mann«, holzte er.
Was hatte Markus Söder verbrochen, dass ihm so viele verbale Giftpfeile zuflogen? Eigentlich nichts. Er hatte sich bei seinem Kurzbesuch in Polen mal hingekniet. Natürlich nicht irgendwo, nein, Söder kennt schließlich die wichtigen Locations. Vor dem Denkmal für die Helden des jüdischen Ghettos, das an den Aufstand der Juden gegen die deutschen Besatzer im Jahr 1943 erinnert, kniete er vergangene Woche. Ein Ausdruck des Respekts sollte es für die Opfer der Schoa sein.
Kniefall in Warschau, war da nicht mal was? Ja, vor genau diesem Mahnmal hatte einmal ein deutscher Bundeskanzler gekniet. Am 7. Dezember 1970 war das, Willy Brandt hieß er, 57 Jahre war er damals alt. Zehn Monate später bekam dieser Brandt dafür den Friedensnobelpreis.
Auch Markus Söder ist zufällig gerade 57 Jahre alt, im besten Alter also. Auch er ist ständig bestrebt, Kanzlerformat zu zeigen. Man weiß ja nie, ob es nicht doch noch was wird mit dem höchsten Staatsamt, der Kollege Merz hat die Wahl ja noch nicht im Sack, und man sollte sich alle Optionen offenhalten … Jedenfalls sah Söder nichts Anrüchiges darin, es dem Brandt in Warschau nachzutun und dort am 11. Dezember an gleicher Stelle auf die Knie zu fallen. Man kann sich seine Vorbilder nicht immer aussuchen.
Kenner historischer Kniefälle dürften es bemerkt haben: Brandt war damals auf beiden Knien, Söder jetzt nur auf einem. Historische Vergleiche sind zwar meistens schräg, aber an dieser Stelle sei für das Protokoll vermerkt: Dieser Punkt geht an den bayerischen Ministerpräsidenten. Warum? Weil man als 57-Jähriger von einem Knie viel leichter wieder auf die Füße kommt als von zweien. Vor allem dann, wenn nicht alle Muskeln richtig verdrahtet sind.
Den Kritikern sei an dieser Stelle nochmals zugerufen: Söders Kniefall war und ist eine gute und angemessene Geste! Sie wird, ebenso wie Brandts Kniefall, in die Geschichtsbücher eingehen. Und falls dort wegen der vielen Bilder der Platz knapp werden sollte, könnte man vielleicht das der händchenhaltenden Buddies Helmut Kohl und François Mitterrand auf den Gräbern von Verdun 1985 entfernen. Händchenhaltende Regierungschefs braucht nun wirklich kein Mensch. Zumindest nicht in Geschichtsbüchern.
Doch zurück zum Sujet dieser Glosse, zurück zu unserem Protagonisten Markus Söder. Am Dienstagabend konterte der in den ARD-»Tagesthemen« souverän die Kritik an seiner »Demutsgeste« und schaltete auf »Gegenangriff«, wie der »Bayerische Rundfunk« titelte. Claudia Roth möge besser mal still sein, sagte er, die habe ja selber erhebliche Probleme im Umgang mit Antisemitismus. Punkt für Söder.
Überhaupt, es sei »völlig respektlos und auch unangemessen gegenüber Millionen von Juden und jüdischen Bürgern in unserem Land, die genau das erwarten, dass man diesen Respekt zeigt«. So kommentierte Söder die Mäkeleien des politischen Gegners und »von einigen sehr linken Kommentatoren«.
Darf man dieser Aussage entnehmen, dass der CSU-Chef mit seinem Kniefall 2.0 in Warschau in erster Linie die Erwartungen der jüdischen Gemeinschaft bedienen wollte? Falls ja: Punkt für Söder.
Oder dachte er ein klitzekleines bisschen auch an die Erwartungen seiner 650.000 Follower auf Instagram, wo das Foto aus Warschau natürlich auch verbreitet wurde? Falls ja, dann sollte hier klargestellt werden: Ein Ministerpräsident muss von Amts wegen zielgruppengerecht über seine Arbeit informieren. Das ist doch selbstverständlich. Das zu kritisieren ist albern. Punkt für Söder.
Doch nicht genug der scheinheiligen Kritik an Markus Söders Kniefall. Es ging ja noch weiter. Da wurde sogar skandalisiert, dass Söder kurze Zeit nach dem Kniefall auf dem Warschauer Weihnachtsmarkt eine polnische Wurst verdrückte.
Eine ziemliche Gemeinheit, hier zu sticheln. Denn Kenner historischer Kniefälle wissen: Knien macht hungrig. Und auch hier wurde anschließend vorbildlich den Transparenzpflichten Genüge getan: Zusammen mit dem Hashtag #söderisst wurde ein Bild der Wurst auf Social Media gepostet.
Nein, es wäre nun wirklich unfair, ausgerechnet einem Markus Söder Wurstigkeit vorzuwerfen. Das wäre geschichtsblind und entspräche auch nicht den Erwartungen der Menschen in Bayern und in Deutschland.
Eher schon könnte man das Olaf Scholz, dem Noch-Bundeskanzler, vorwerfen. Dem verpasste Söder in den »Tagesthemen« noch eine Lektion im Bundeskanzlersein (und damit kennt sich Söder bereits vor Amtsübernahme aus, schließlich hing er als junger Bub am Rockzipfel des Fast-Bundeskanzlers Franz-Josef Strauß und lernte viel fürs Leben): »Ein Besuch in Polen zeigt Gesprächsbereitschaft. Unser Bundeskanzler ist gar nicht mehr in der Lage, mit Polen zu reden. Das ist das genaue Gegenteil.«
Da kann ein Peer Steinbrück lange über eine »Banalisierung der Politik« stänkern.
Einem Markus Söder kann das wurst sein.