Meinung

Die EU, Israel und ein überraschendes Abkommen

Warum Jerusalem allen Grund dazu hat, sich bei seinem EU-Botschafter zu bedanken

von Maram Stern  24.06.2020 10:46 Uhr

Maram Stern Foto: Marco Limberg

Warum Jerusalem allen Grund dazu hat, sich bei seinem EU-Botschafter zu bedanken

von Maram Stern  24.06.2020 10:46 Uhr

Eigentlich ist in Brüssel seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie alles etwas anders als sonst. Selbst das notorisch durchwachsene Wetter war in den letzten Wochen offenbar in Quarantäne: Es herrschte eitel Sonnenschein. Die EU-Politik hatte sich entschleunigt. Doch mit dem Ende des Lockdowns in Belgien wurde auch der Brüsseler Politbetrieb wieder hochgefahren.

PLAN Vor einigen Tagen wollten einige Abgeordnete im Europaparlament der israelischen Regierung eins auswischen. Anlass war das (nicht nur in Brüssel) sehr unpopuläre Vorhaben, Gebiete im Westjordanland zu annektieren. Die Schlussabstimmung über das EU-Luftverkehrsabkommen mit Israel sollte verschoben und die Ratifizierung damit ausgesetzt werden. Fast wäre der Plan aufgegangen.

Das Abkommen zum Flugverkehr befindet sich bereits seit 2013 in der Ratifizierung durch die EU-Mitgliedsstaaten. Es wird seitdem auch schon angewandt. Nur die formale Verabschiedung durch die EU-Parlamentarier stand noch aus. Eine Ablehnung oder Verschiebung hätte aus einem unkontroversen Thema sicher einen politischen Zankapfel erster Güteklasse gemacht und die Beziehungen zwischen Brüssel und Jerusalem verschlechtert.

Dass es dazu nicht kam, darf man getrost einem Mann zuschreiben, den selbst in seiner Heimat nur die wenigsten kennen werden: Israels EU-Botschafter Aharon Leshno-Yaar. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen ist Leshno-Yaar ein Freund der leisen Töne. Statt Menschen per Tweet, Interview oder Pressemitteilung anzugreifen, wirbt er lieber im persönlichen Gespräch um Verbündete. Ein klassischer Diplomat eben.

ÜBERZEUGUNGSARBEIT Was von Israel oft als Hasbara oder »Public Diplomacy« bezeichnet wird, hat durchaus seine Berechtigung. Es ist gut, öffentlich auf grobe Fehlentwicklungen hinzuweisen und auch mal deutliche Kritik zu äußern. Im Fall des Luftverkehrsabkommens war es dennoch besser, dass die Diskussion unbemerkt von den Medien hinter verschlossenen Türen stattfand. So waren die Abgeordneten offener für Sachargumente.

Denn niemand sollte sich etwas vormachen: In den meisten EU-Staaten hätte eine Mehrheit der Bürger einen Protest an die Adresse Israels begrüßt. Und gewählte Abgeordnete lassen sich von Stimmungen beeinflussen – das ist in jeder Demokratie so.

Überzeugungsarbeit zu leisten und sich von Querschüssen nicht kirre machen zu lassen ist gar nicht so einfach. Die israelische Regierung sollte sich bei ihrem Botschafter bei der EU bedanken, dass er ihr ein wichtiges Abkommen gerettet und eine schwere Krise in den Beziehungen abgewendet hat.

Der Autor ist geschäftsführender Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC) und leitet seit 30 Jahren das Brüsseler WJC-Büro

Kommentar

Shiri, mein Herz bricht für dich

Sarah Cohen-Fantl will nicht verzeihen, dass Shiri, Kfir und Ariel Bibas nicht gerettet wurden

von Sarah Cohen-Fantl  21.02.2025

Katrin Richter

Demokratie statt Lethargie

Wer nicht wählt, muss mit dem leben, was dann dabei herauskommt

von Katrin Richter  21.02.2025

Igor Mitchnik

Europa muss sich hinter die Ukraine stellen

Trump denkt nicht transatlantisch, sondern transaktional

von Igor Mitchnik  20.02.2025

Meinung

Kennen Sie Abed Hassan?

Vieles, was der Berliner sagt, ist bedenklich nah dran an Hamas-Propaganda.

von Susanne Stephan  19.02.2025

Glosse

Ein Hoch auf die Israelkritik

Der »Spiegel« hat mit dem indischen Essayisten Pankaj Mishra ein »erhellendes« Interview zum Nahostkonflikt geführt

von Michael Thaidigsmann  18.02.2025

Meinung

Wie das Ende eines Alptraums, der fünf Jahre gedauert hätte

Alon Ishay ist erleichtert, dass die Koalitionsgespräche der FPÖ vorerst gescheitert sind

von Alon Ishay  17.02.2025

Meinung

Was »Sensibilität« bei der Berlinale bedeutet

Das Film-Festival hat eigens FAQ zum Nahostkonflikt veröffentlicht und distanziert sich darin gleich von der Antisemitismus-Resolution des Bundestages

von Maria Ossowski  20.02.2025 Aktualisiert

Einspruch!

Holt sie aus der Hölle raus

Sabine Brandes fordert, alles dafür zu tun, um auch die letzten verbliebenen Geiseln zu retten

von Sabine Brandes  13.02.2025

Meinung

Kanye West und der grassierende Antisemitismus in den USA

Die neuesten judenfeindlichen Eskapaden des Rapstars sind symptomatisch für eine bedrohliche Diskursverschiebung, die von Donald Trump und Elon Musk befeuert wird

von Ruben Gerczikow  10.02.2025