Kennen Sie Abed Hassan? Wenn Sie sich für Nachrichten aus dem Nahen Osten interessieren und deutsche Leitmedien konsumieren, stehen die Chancen gut, dass Ihnen der auf den ersten Blick sympathisch wirkende Endzwanziger seit dem 7. Oktober schon einmal irgendwo begegnet ist.
Der Berliner mit familiären Wurzeln in Gaza hat nicht nur eine ansehnliche Followerschaft auf Instagram. Er saß bei Markus Lanz in der Talkrunde, kam im »Heute Journal« zu Wort, wurde vom »Tagesspiegel« und der »Süddeutschen Zeitung« porträtiert.
»Die deutsche Stimme aus Gaza«, nennt ihn die Deutsche Welle. Er sagt Sätze wie »Es passiert zu viel Leid, es sterben zu viele Menschen« und berichtet aus erster Hand per Instagram-Video oder Post über den katastrophalen Alltag im Kriegsgebiet. Gleichzeitig gibt er sich abgeklärt. »Ich leide mit den (israelischen) Geiseln.« Kann man so jemandem, der selbst Freunde und Verwandte in dem verheerenden Krieg verloren hat, seine Glaubwürdigkeit absprechen?
Menschen wie ihn lieben Journalisten. Sie erleichtern ihnen die Arbeit, denn sie sind schnell und eindimensional zu erzählen. Man kann sie so einfach in einer Story unterbringen wie den betagten Holocaust-Überlebenden in Herzliya, die leidenschaftliche Regimekritikerin in Tel Aviv oder den finster-bösen Siedler im Westjordanland.
Überhaupt freuen sich ja deutsche Medienschaffende, wenn sie den verstörenden Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn auf simple Argumentationsmuster reduzieren können. Das geht ratzfatz und schenkt einem die Genugtuung eines erhobenen Zeigefingers. Die da unten könnten doch Frieden schließen, wenn sie nur wollten!
Blöd ist es dagegen, wenn Klischees bröseln. Bei Abed Hassan heißt das: Wenn der angeblich so friedfertige Aktivist abseits öffentlich-rechtlicher Fernsehstudios Fake News verbreitet. Wenn er wie vor kurzem behauptet, dass für den 7. Oktober 23 keine Vergewaltigungen hätten nachgewiesen werden können. Wenn er sich Spenden sammelnd in die Nähe von Islamisten begibt. Wenn er unzählige Videos und Fotos über das Schicksal der Menschen in Gaza verbreitet, sich dabei aber anscheinend nicht weiter für die unheilvolle Rolle der Hamas interessiert. Wenn er Israel schon lange vor dem aktuellen Krieg mit einem Satan vergleicht.
Das alles ist bedenklich nahe dran an Hamas-Propaganda. Viele problematische Äußerungen Hassans konnten eigentlich schon Ende 2023 jedem Journalisten auffallen, der sich die Mühe machte, ein wenig im Netz herumzuklicken. Ist es offensichtlich aber nicht – was unserer Journaille kein besonders gutes Zeugnis ausstellt.
Anstatt Ansprechpartner zu suchen, die dem Menschen in Deutschland valide Informationen über die Situation in Nahost liefern, die Hintergründe, vielleicht sogar Perspektiven aufzeigen, begeben sich die Kollegen in eine stereotype Dauerschleife. Das mag Quote bringen. Mit gutem journalistischem Handwerk hat es wenig zu tun.
Die Autorin ist Co-Vorsitzende des Verbandes Jüdischer Journalistinnen und Journalisten und Redakteurin beim »Focus«.