Meinung

Kein Verständnis

Michael Thaidigsmann Foto: privat

Was ist los mit António Guterres?

Nicht nur in Israel wundern sich viele über das Agieren des UN-Generalsekretärs seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Für Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist der Portugiese, der seit 2017 Chef der UN-Verwaltung ist, für das Amt »ungeeignet«. Statt seinen Job zu machen, rede Guterres mit seinen Statements zum Nahostkonflikt »Antidemokraten das Wort«, sagte Strack-Zimmermann der Deutschen Presse-Agentur.

Nun ist die FDP-Politikerin selten um eine scharfe Bemerkung verlegen und nicht dafür bekannt, ihre Ansichten in diplomatisch korrekte Worte zu kleiden. Doch Guterres agiert nicht erst seit dem 7. Oktober mehr als unglücklich. Genauso wie die Organisation, die er repräsentiert.

Natürlich, seine Statements enthalten klare Verurteilungen des Terrorangriffs der Hamas auf Israel. Guterres hat mehrfach Mitgefühl mit den Ermordeten und Entführten ausgedrückt, die Freilassung der Geiseln gefordert und auch mit den Zivilisten im Gazastreifen gefühlt, die in den letzten Wochen ums Leben gekommen sind. Nichts daran ist verwerflich.

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Kritikwürdig ist aber etwas anderes: Guterres gibt sich wenig Mühe, zwischen Angreifer und Verteidiger, zwischen Terroristen und demokratischem Rechtsstaat zu unterscheiden. Er zeigt kein Verständnis dafür, dass Israel keine andere Wahl hat, als sich entschlossen zur Wehr zu setzen. Auch die andauernden Raketenangriffe der Hamas auf zivile Ziele in Israel erwähnt er nicht.

Man müsse auch die Vorgeschichte seit 1967 betrachten, der 7. Oktober sei ja nicht im luftleeren Raum passiert, suggerierte Guterres Ende Oktober. Und: »Das palästinensische Volk hat 56 Jahre lang unter einer erdrückenden Besatzung gelitten. Aber die Beschwerden des palästinensischen Volkes können die entsetzlichen Angriffe der Hamas nicht rechtfertigen. Und diese schrecklichen Angriffe können die kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen.«

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Damit löste er zu Recht einen Sturm der Entrüstung aus. Denn was hat die israelische Siedlungspolitik mit der Ermordung von 1200 Zivilisten auf dem auch von den Vereinten Nationen anerkannten israelischen Staatsgebiet zu tun? Kann sie auch nur im Entferntesten die Taten der Hamas erklären? Und ist der israelische Militäreinsatz in Gaza eine Kollektivbestrafung der Palästinenser?

Diese Woche lieferte Guterres erneut den Beweis, warum er vielleicht seinen Redenschreiber auswechseln sollte. »Wir sind (in Gaza) Zeugen einer Tötung von Zivilisten, die beispiellos ist und die es in keinem anderen Konflikt gab, seit ich Generalsekretär bin.« Eine Behauptung, die sich schnell widerlegen lässt: Allein in der Ukraine kamen durch die russische Invasion geschätzt zehnmal so viele Menschen ums Leben wie im Gazastreifen. Und als Guterres 2017 sein Amt antrat, tobte noch der Bürgerkrieg in Syrien, der allein in jenem Jahr mehr als 38.000 Menschen das Leben kostete.

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Schlimmer noch als die falschen Zahlen, die der oberste UN-Beamte da in die Welt setzte, ist der sich immer mehr aufdrängende Eindruck, dass Guterres die Hamas und Israel implizit auf eine Stufe stellt. Hier zivile Opfer, da zivile Opfer, beide müssen aufhören, etc.

Dass bei den Vereinten Nationen in Bezug auf Israel gerne Ursache und Wirkung vertauscht wird, ist nichts Neues. Der Menschenrechtsrat, die Vollversammlung und viele UN-Unterorganisationen haben ihre Voreingenommenheit dem jüdischen Staat gegenüber auch nach dem 7. Oktober ungerührt zur Schau gestellt. Zur Verletzung der Rechte von Kindern und Frauen durch die Hamas hört man aus New York und Genf nur wenig. Die Solidarität der Vereinten Nationen gilt seit Langem einzig und allein den Palästinensern.

Und doch ist da eine gewisse Enttäuschung über Guterres. Der 74-Jährige gilt als integer, als zugewandt. 2020 verlieh ihm der Jüdische Weltkongress (WJC), vielleicht etwas voreilig, seinen Theodor-Herzl-Preis. In seiner Dankesrede sagte der frühere portugiesische Ministerpräsident: »Der Kampf gegen den Antisemitismus für mich eine sehr persönliche Angelegenheit ist. Ich bin im modernen Europa aufgewachsen, das gerade den Krieg hinter sich hatte. Der Widerstand gegen die Tyrannei des Faschismus war von zentraler Bedeutung für die Entwicklung meines sozialen und politischen Bewusstseins.«

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Drei Jahre zuvor, zu Beginn seines Mandats, war Guterres schon einmal Gast beim WJC in New York. Da war er sogar noch deutlicher. »Als Generalsekretär der Vereinten Nationen bin ich der Ansicht, dass der Staat Israel wie jeder andere Staat behandelt werden muss. Israel hat ein unbestreitbares Recht, zu existieren und in Frieden und Sicherheit mit seinen Nachbarn zu leben. Die moderne Form des Antisemitismus ist die Leugnung der Existenz des Staates Israel. Ich hatte bereits die Gelegenheit zu zeigen, dass ich bereit bin, mich an diesen Grundsatz zu halten, auch wenn mich das zu einigen Entscheidungen zwingt, die unangenehme Situationen schaffen.«

Heute muss Guterres sich fragen lassen, wie ernst es ihm wirklich ist mit dem Kampf gegen Tyrannei und Faschismus und ob er seinen hehren Worten hat Taten folgen lassen. Das Ergebnis ist ernüchternd.

Sicher, als Generalsekretär der Vereinten Nationen ist Guterres in ein relativ enges politisches Korsett eingeschnürt. Er muss politisch mehr Rücksichten nehmen als die meisten anderen Politiker. Aber nach fast sieben Jahren im Amt ist auch die Frage erlaubt, ob er wirklich etwas nach vorn bewegt hat oder nur wieder den alten Wein in neuen Schläuchen serviert. Die Antwort: eher Letzteres.

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Und jenseits aller rhetorischen Scharmützel zeigen die Vereinten Nationen, die mit der UNRWA an keinem Ort der Welt so personalstark vertreten sind wie in Gaza, dass die guten Worte ihres Generalsekretärs nur heiße Luft sind. Hat denn in den letzten 15 Jahren bei den Vereinten Nationen niemand mitbekommen, dass die Hamas Krankenhäuser als militärische Objekte verwendet? Dass sie es ist, die Zivilisten im Gazastreifen in Gefahr bringt? Dass die Terrororganisation seit ihrer Gründung vor 36 Jahren offenen Judenhass predigt und als Hauptziel nicht nur die Vernichtung und Vertreibung des Staates, sondern auch aller Juden in Israel hat?

Die Vereinten Nationen sind seit Langem auf einem Auge blind. Sie sind blind für die Sorgen und Nöte der Israelis. António Guterres weiß das. Er sollte sich an die eigene Nase fassen. Denn es bringt nichts, einen wachsenden Antisemitismus zu beklagen, wenn man nichts dagegen unternimmt. Und es bringt auch nichts, den hehren Kampf gegen Tyrannei und Faschismus zu beschwören, wenn man der Hamas freie Hand gibt.

Als Vermittler in Nahost sind die UN jedenfalls ein Totalausfall. Daran hat leider auch ihr Generalsekretär nichts geändert.

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