Israel/Gaza

Kaya Yanar, hören Sie endlich auf, antisemitische Narrative zu verbreiten!

Kaya Yanar Foto: picture alliance / Panama Pictures

Sehr geehrter Herr Yanar,

es liegt mir nichts ferner, als mit Ihnen in eine Brieffreundschaft zu treten. Doch die Umstände zwingen mich, klar Position zu beziehen. Vor vier Wochen haben Sie in einem 20-minütigen Video auf YouTube zum Krieg in Gaza Stellung genommen. In der Rolle Ihrer Kultfigur »Yildirim«, einem türkischen Fahrlehrer, werfen Sie Israel vor, offensichtlich zu lügen und Beweise zu fälschen.

Dabei bedienen Sie sich immer wieder Narrativen, die höchst problematisch sind und einer Einordnung bedürft hätten. Sie nehmen in Kauf, dass dadurch eine noch feindlichere Stimmung gegenüber jüdischen Menschen aufkommt als ohnehin schon, und das gerade jetzt, wo Juden in diesem Land ständigen Bedrohungen und Anfeindungen ausgesetzt sind. Das ist fahrlässig, das ist unentschuldbar.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Ihr Statement hat deshalb sehr hohe Wellen geschlagen, auch in der deutschsprachigen Medienlandschaft. Nicht nur wir als Redaktion der Jüdischen Allgemeinen waren äußerst irritiert über die Botschaft, die Sie in Ihrem Video kommuniziert haben: Dass die von Ihnen so akribisch genau herausgeschälten »Lügen«, wie Sie es nennen, quasi komplett von Israel und Amerika gesteuert würden und dies augenscheinlich sei.

Den angeblichen Lügen stellten Sie Ihre Sicht der Wahrheit entgegen, immer schön durchsetzt mit ein paar gefährlichen Klischees, wohlgemerkt nicht ironisch gemeint– wie man es noch von einem Komiker akzeptieren könnte –, sondern bitterernst. Medien in Deutschland und der Schweiz, so zum Beispiel die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, »Süddeutsche Zeitung« oder »20 Minuten«, hatten in ihrer Berichterstattung auf Ihr Video Bezug genommen und Kritik geäußert.

Dass Juden Kindermörder seien, ist ein uraltes antisemitisches Narrativ.

Darauf folgte eine laute und hässliche Debatte in sozialen Medien und Zuschriften, in der auch wir als Zeitung aufs Heftigste angegriffen wurden. Wir seien »zionistische Akteure, die den Judenhass geradezu befeuern würden« oder würden »die rechtsradikale israelische Regierung schützen, anstatt einen Diskurs zu erlauben, was diese Regierung falsch gemacht« habe, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Die übelsten Beleidigungen, teils auch klar antisemitischen Aussagen, die wir in diesem Zusammenhang erhalten haben, möchte ich an dieser Stelle gar nicht erst aufführen. Ein Schelm, der immer noch nicht versteht, auf welchen Nährboden Ihre Aussagen wie Dünger fielen. Ihr Versuch der Rechtfertigung stinkt offensichtlich. Aber von Einsicht oder Lernkurve erkennt man bei Ihnen nichts.

Sie bezweifeln, dass die Hamas Tel Aviv mit Raketen beschossen und israelische Kinder bestialisch ermordet hat.

Im Gegenteil, Sie ergreifen immer wieder das Wort, bedienen sich immer neuen Stilmitteln, mit denen Sie versuchen, sich reinzuwaschen. Auch vor Fäkalsprache machen Sie keinen Halt. So schreiben Sie: »Sie furzen eine Antisemitismus-Wolke in den Raum, die jeder riechen soll, wenn er meine Worte hört. Auch wenn Sie jetzt gerne die Tatsachen verdrehen wollen: Sie haben gefurzt, nicht ich.«

Wer menschliche Diskriminierung mit menschlichen Ausdünstungen vergleicht, begibt sich wortwörtlich auf ein Niveau unter der Gürtellinie. Heben wir also das Niveau wieder.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Sie sind der Meinung, der Antisemitismusvorwurf werde von uns, von der Jüdischen Allgemeinen, als Waffe eingesetzt. Dabei geht es darum, antisemitische Narrative in Ihrem YouTube-Beitrag aufzuzeigen. Es spielt keine Rolle, ob diese absichtlich oder vielleicht auch unabsichtlich reproduziert worden sind, ob sie offensichtlich oder zwischen den Zeilen transportiert werden.

Es geht darum, den Blick auf diese Narrative zu schärfen und sie offenzulegen. Denn diese Narrative sind gefährlich. Sie können Antisemitismus triggern, wie die Reaktionen auf unsere Kritik deutlich offengelegt haben. Da Sie offenbar immer noch nicht verstehen oder verstehen wollen, um welche Narrative es sich hier handelt, braucht es mehr Aufklärungsarbeit.

Sie schreiben, wir würden »die israelische Regierung mit der jüdischen Bevölkerung in einen Topf« werfen und unterstellen uns, »Israelkritik« mit Antisemitismus zu verwechseln. Mitnichten. In diesem Punkt sind wir uns sogar einig, dass die israelische Regierung kritisiert werden darf und soll. Aber darum geht es gar nicht.

Wir Juden sind unehrlich und lügen stets?

Störend sind die von Ihnen verwendeten Narrative, die zwar an den jüdischen Staat gerichtet, aber aus der Geschichte des jüdischen Volkes nicht wegzudenken sind. Solche versteckte Narrative bleiben im Kern antisemitisch, wenn Israel einfach durch »Juden« ersetzt werden kann.

Hier einige Beispiele: Sie behaupten in Ihrem Video-Statement, die Vertreter des jüdischen Staates würden durchgehend und absichtlich lügen. Sie bezweifeln gar, dass die Hamas Tel Aviv mit Raketen beschossen und israelische Kinder bestialisch ermordet hat. Dass Juden unehrlich seien und stets lügen, gehört zu den ältesten antisemitischen Narrativen, seit über 2000 Jahren.

Danach kommt die Behauptung, Israel verhalte sich unethisch und skrupellos. Skrupellosigkeit ist ein weiteres antisemitisches Narrativ aus dem Mittelalter. Auch behaupteten Sie, Israel werde durch die Weltmächte grundlos und blind geschützt. Somit implizieren Sie, Israel habe die Weltgemeinschaft fest im Griff. Die »jüdische Weltherrschaft« ist ein modernes antisemitisches Narrativ.

Zum Schluss ziehen Sie die antijüdische Gesinnung der Hamas in Zweifel.

Noch absurder wird es vor allem dann, wenn Israels Krieg gegen die Hamas mit Ereignissen im Zweiten Weltkrieg verglichen werden, zum Beispiel mit dem Angriff auf Nazi-Deutschland, etwa auf Dresden. Hier werden Parallelen zum Zweiten Weltkrieg gezogen. Eine typische Täter-Opfer-Umkehr.

Hinzu kommt die Behauptung, die Hälfte der Opfer in Gaza seien Frauen und Kinder, eine Eins-zu-Eins-Übernahme der Hamas-Propaganda. Und: Dass Juden Kindermörder seien, ist auch ein uraltes antisemitisches Narrativ, dem gleich das nächste folgt, indem Sie die angebliche Vergeltungssucht der Juden mit dem fehlinterpretierten Satz aus der Tora »Auge um Auge« belegen wollen.

Außerdem gehen Sie der Fehlbehauptung auf dem Leim, die Hamas sei eine von der palästinensischen Bevölkerung losgelöste Terrororganisation. Verkennen Sie dabei nicht, dass die Hamas die de facto Staatsgewalt in Gaza ist? Es soll der Eindruck entstehen, Israel räche sich an der Zivilbevölkerung für die Taten von ein paar Terroristen, die völlig machtlos wären. Auch hier wieder das antisemitische Narrativ der Skrupellosigkeit und Hinterhältigkeit der Juden bemüht.

Zum Schluss ziehen Sie die antijüdische Gesinnung der Hamas in Zweifel und unterstellen Israel, absichtlich ein Buch von »Mein Kampf« in einer Wohnung eines Terroristen platziert zu haben. Der lügende Jude, auch hier wieder das alte antisemitische Narrativ.

Sie gehen der Fehlbehauptung auf dem Leim, die Hamas sei eine von der palästinensischen Bevölkerung losgelöste Terrororganisation.

Eine öffentliche Person wie Sie, Herr Yanar, hat eine Verantwortung, wenn Sie an Ihre Fangemeinde sprechen, vor allem wenn Sie Ihre politischen Aussagen, die bestimmten Narrativen folgen, hinter Satire verstecken wollen. Es ist Aufgabe von Journalisten, an die Verantwortung von öffentlichen Personen hinzuweisen und aufzudecken, wenn sie solche Narrative duplizieren, die andere in ihren Vorurteilen bestätigen können.

Es ist zu hoffen, dass die Einsicht bei Ihnen reifen wird, was Sie mit solchen Aussagen bewirken und wie Sie auf Jüdinnen und Juden in Deutschland und in der Schweiz wirken. Dabei spielt es keine Rolle, ob es auch Zwischenrufe in Ihrem Video gibt, die weicher klingen. Der Kontext des Videos, das Framing und die darin transportierten Narrative sind für das Gesamtbild entscheidend.

Und solange Sie immer weiter versuchen, zu erklären, wieso antisemitische Narrative eigentlich keine sind, gibt es für mich mit Ihnen nichts mehr zu lachen.

dreyfus@juedische-allgemeine.de

Berlinale

»Ich werde mich entschuldigen«

Die neue Berlinale-Chefin verspricht ein Filmfestival mit Haltung. Tricia Tuttle im Interview über den Skandal des vergangenen Jahres und Debattenkultur

von Sophie Albers Ben Chamo  11.02.2025

London

Harrison Ford darf in seinen Filmen selten Bart tragen

Er hat eines der bekanntesten Gesichter Hollywoods. Jetzt hat der jüdische Darsteller verraten, warum er meistens gut rasiert vor der Kamera steht

 11.02.2025

USA

»Ich liebe Hitler«: Kanye West verbreitet erneut Judenhass

Juden seien nicht vertrauenswürdig, schreibt der Musiker, dessen offizieller Name nun Ye lautet

 10.02.2025

Meinung

Antisemitismus an Kunsthochschulen: Eine Kultur des Wegschauens

Die Serie antisemitischer Vorfälle an Ausbildungsstätten für angehende Künstler reißt nicht ab. Warum sind die Hochschulen offenkundig außerstande, das Problem in den Griff zu kriegen?

von Klemens Elias Braun  10.02.2025

Sehen!

»Kleider machen Leute«

Im Staatstheater Cottbus wurde jetzt Alexander Zemlinskys Oper in der Fassung von 1913 uraufgeführt

von Maria Ossowski  10.02.2025

TV-Tipp

Der andere Taxi Driver

Arte zeigt den Thriller »A Beautiful Day« der Regisseurin Lynne Ramsay mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle

von Kathrin Häger  09.02.2025

Analyse

Der nette Salafist?

Was von Syriens Interimspräsident Ahmad al-Sharaa zu erwarten ist – auch im Verhältnis zu Israel

von Tom Khaled Würdemann  10.02.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Was bedeutet das Wort »Jude«?

Überlegungen zu Selbstmitleid und Dankbarkeit

von Ayala Goldmann  09.02.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Als Harry und Sally so langweilig wie Mayonnaise waren

von Katrin Richter  09.02.2025