Brauchen wir Kafka? Hypochonder, schlaflos, lähmend unentschlossen, vom Leben verängstigt, vom Tod besessen – Franz Kafka verwandelte, so gut er konnte, seine Neurosen in Kunst.
So viel Folter, diese präzis-verstörende Beschreibung von Wunden, Orientierungslosigkeit, Sadomasochismus, unerklärliche Grausamkeit, das Auftauchen von Nagetieren, Käfern, Geiern und anderen grotesken Kreaturen übersetzte er vor dem Hintergrund völliger Hoffnungslosigkeit offensichtlich in Literatur.
Seine Texte haben Schockwirkung und so sind sie weder ein guter Start in den Tag, noch ist Kafka vor dem Schlafengehen eine besonders erbauliche Lektüre. Und trotzdem findet die Welt, sie brauche Kafka. Warum nur? Warum herrscht Konsens darüber, dass Franz Kafka ein moderner Meister ist, der im selben Pantheon angesiedelt wird wie Joyce, Picasso, Strawinsky, Mallarmé und all die anderen Künstler, die das zeitgenössische Verständnis der Welt radikal verändert haben.
Ist es häretisch zu sagen, dass ich mich mit Kafkas Werk nie anfreunden konnte? Dass es sogar möglich war, ein klassisches Germanistikstudium zu absolvieren, ohne sich dem Mythos der stählernen Popfigur Kafka hinzugeben.
Dieses vermeintlich brillante Eigengewächs, das an Originalität offenbar kaum zu übertreffen ist und sich von allen bindenden Regeln der Geisteswissenschaften löst, empfinde ich als pure Selbstquälerei. Dieses halbautomatisch geschriebene Œuvre, das nie über den Status »vomit draft« hinauskam, blockiert sämtliche Lebensfreude in mir.
Zugegeben, sprachlich elegant verwoben sind die literarischen Geflechte. Und es ist ihm auch zugute zu halten, dass sich dieser Mann nicht zu Denkmoden, zu irgendwelchen »-ismen« hingezogen fühlte, sondern er auf seine eigene - wenn auch rätselhafte - Weise seine eigene Seele erforscht.
Doch jedes Mal, wenn ich mich überwand, mich mit Kafka auseinanderzusetzen, äußerten sich all meine Frustrationen und mein Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem, was ich für den absurden Zustand der Welt hielt. Erhellend ist das nicht. Vielleicht ahnte der Schriftsteller, dass die Nachwelt ihn für überbewertet halten wird und verlangte deshalb, dass nach seinem Tod sein Werk vernichtet werden sollte.