Die Sau an der Wittenberger Schlosskirche bleibt. Das hat das Landgericht Dessau-Roßlau entschieden. Geklagt hatte ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, das sich durch die Skulptur in seiner Ehre verletzt sieht. Es liege keine von der evangelischen Gemeinde ausgehende Beleidigung vor, urteilte nun das Gericht und wies die Klage ab. Eine Berufung ist möglich.
DEMÜTIGUNG Die »Judensau«-Darstellungen sind widerlich und zutiefst demütigend für Juden. Meist auf mittelalterlichen Reliefs und Plastiken sind Juden gekennzeichnet durch Tracht, Spitzhut oder Gelben Ring. Die Reliefs zeigen sie wie Ferkel, die an den Zitzen einer Sau saugen oder verkehrt herum auf einem Schwein reiten, das Gesicht dem Anus zugewandt, aus dem Urin spritzt. Schlimmer kann man Menschen nicht verspotten.
Plötzlich werden wir gewahr,
dass es Nazi-Glocken oder »Judensau«-Darstellungen gibt?
Die vermutlich 30 noch in Deutschland existierenden »Judensau«-Darstellungen sind herabwürdigend – seit 500 Jahren. Aber sind wir wirklich erst jetzt so aufgeklärt, dass wir nun diese Symbole des Antisemitismus vernichten wollen? Plötzlich werden wir gewahr, dass es Nazi-Glocken oder »Judensau«-Darstellungen gibt?
BILDERSTURM Ein bisschen spät – oder ein bisschen übereifrig? Klar kann man Hakenkreuze und Nazisprüche abflexen, Glocken ent- und neuwidmen, läuten können sie dann eh nicht mehr. Auch Bildzeugnisse zerstören, Skulpturen zerschlagen, Reliefs abschlagen kann man. Doch die Leerstellen schreien umso lauter. Und wäre es nicht ein bloßer Bildersturm?
Die Diskussion wird weitergehen. Und das ist gut so, denn die Auseinandersetzung über antisemitische Skulpturen, über bildliche Zeitdokumente, ihren Sinn und ihre Bedeutung bringt mehr, als zu glauben, mit dem Abschlagen von mittelalterlichen Skulpturen habe man das Problem Antisemitismus erledigt. Führt die Jugendlichen hin und lasst sie selbst herausfinden, was daran verwerflich ist! Besser lässt sich Bildung nicht gestalten. Das Lutherjahr haben wir doch auch überstanden und gute Debatten geführt.
sobotka@juedische-allgemeine.de