Die Affäre um Bayerns Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger dreht sich um viel mehr als ausschließlich um die Frage: »Hat er das antisemitische Flugblatt verfasst oder nicht?« Der Vorgang wirft ernste Fragen über die politische Integrität und Vertrauenswürdigkeit des Politikers (Freie Wähler) auf.
Als die »Süddeutsche Zeitung« Aiwanger am Wochenende mit den belastenden Vorwürfen konfrontierte, wählte er die Strategie der vollständigen Verneinung und brandmarkte die Berichterstattung sofort als »Schmutzkampagne«.
salamitaktik Wenig später wurde öffentlich, dass der Verfasser der antisemitischen Flugblätter angeblich sein eigener Bruder sei. In einer Salamitaktik folgen dann weitere Details: Laut seinem Bruder hätte Aiwanger die Flugblätter lediglich eingesammelt, nicht verteilt. Dies steht im Widerspruch zu Hubert Aiwangers eigener Behauptung über mögliche »Erinnerungslücken«, ob er die Flugblätter selbst verteilt hat.
Man gewinnt den Eindruck, dass Aiwanger täglich eine neue »Wahrheit« konstruiert – eine flexible Realität, die ihm gelegen kommt.
Man gewinnt den Eindruck, dass Aiwanger täglich eine neue »Wahrheit« konstruiert – eine flexible Realität, die ihm gelegen kommt. Diese Entwicklung wirft ein düsteres Licht auf Aiwangers Verhältnis zur Wahrheit. In einer Zeit, in der die politische Integrität mehr denn je auf dem Prüfstand steht, zeichnet dies ein erschütterndes Bild der politischen Nummer zwei im Freistaat.
vertrauen Doch die Affäre ist nicht nur ein Einblick in Aiwangers Persönlichkeit, sondern auch ein Integritätstest für die bayerische Politik. In einem Klima, in dem das Vertrauen in die Politik zusehends infrage gestellt wird, steht viel auf dem Spiel. Die Frage bleibt: Ist ein Politiker, der in seiner Vergangenheit und in seiner heutigen Reaktion auf diese Vergangenheit so kompromittiert ist, für ein öffentliches Amt tragbar?
Diese Frage muss sich nun jeder Mensch in dem Land stellen, das von sich behauptet, die nationalsozialistische Vergangenheit aufgearbeitet zu haben.
Der Autor ist Vorsitzender des Verbands Jüdischer Studenten in Bayern (VJSB).