Israel mache »immer wieder Sicherheitsinteressen geltend«, sagte der Außenamtssprecher am Montag in der Bundespressekonferenz und fügt hinzu: »Klar ist aber auch, und das ist völkerrechtlich sehr deutlich festgehalten, dass die territoriale Integrität nicht angefasst werden darf.« Ganz so klar ist der Fall der israelischen Luftangriffe auf Militäranlagen in Syrien allerdings nicht.
Nur auf den ersten Blick hat die Bundesregierung recht. Zwar sind Staaten im Kriegsfall berechtigt, die militärische Infrastruktur des Gegners anzugreifen, doch Syriens Übergangsregierung unter Führung der Miliz »Hayat Tahrir al-Sham« (HTS) hat Israel nicht angegriffen, weshalb der jüdische Staat auch keine juristische Berechtigung hat, gegen die Streitkräfte des Nachbarlandes vorzugehen.
Die Realität ist komplexer als die internationalen Normen.
Doch diese Übergangsregierung ist durch kein Verfahren ins Amt gekommen, das völkerrechtlichen Standards entspräche. Sie ist Instrument einer Miliz, die auf Terrorlisten geführt wird. Dennoch bemühen sich gerade derzeit auch westliche Akteure, darunter Deutschland, zu genau dieser Regierung Beziehungen herzustellen. Auch das zeigt: Die Realität ist komplexer als die internationalen Normen.
Das Völkerrecht kennt keine unabhängige Instanz, die dieses mittels eines Gewaltmonopols verlässlich schützen würde. Darum müssen in Notständen Regierungen selbst entscheiden, wie sie die Sicherheit ihrer Bürger gewährleisten. Die Möglichkeit, dass syrische Giftgasbestände in die Hände einer Al-Qaida-nahen Organisation fallen, stellte eine konkrete Bedrohung für Israel dar. Dass sie zerstört wurden, kann aber auch den Syrerinnen und Syrern nutzen, denn diese Waffen wurden in der Vergangenheit vom Assad-Regime mehrfach gegen die eigenen Bürger eingesetzt.
Ob Israel aber präventiv praktisch das gesamte in Syrien vorhandene Kriegsgerät zerstören sollte, erfordert eine andere politische Abwägung. Die Regierung Netanjahu hat erklärt, dass sie nicht zum dauerhaften Akteur in Syrien werden will. Es wäre klug, diese Linie beizubehalten.
Der Autor ist Redakteur im Außenressort der »Welt«.