Erinnerung ohne Zeitzeugen? Diese Frage wird häufig gestellt, und sie ist durch die Pandemie noch einmal besonders virulent geworden. Mitten in die Vorbereitungen zum 75. Jahrestag der Befreiung im Jahr 2020 platzten die Nachrichten über das Virus. Kurze Zeit später mussten Flüge storniert und Veranstaltungen abgesagt werden.
Für uns, die wir in Gedenkstätten arbeiten, fehlen die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen als eminent wichtige Persönlichkeiten. Der Austausch mit ihnen bestärkt uns, gibt uns Richtung und Gewissheit über die Wichtigkeit unseres Engagements.
überlebende Es sind die Autorität der Persönlichkeit, die Ausstrahlung des selbst Erlebten und die Kraft der individuellen Erzählung, die die zutiefst inhumane, kaum fassbare Dimension der NS-Verbrechen biografisch verorten und fassbarer machen. Diese Art der Erinnerung durch Begegnung, die durch die Begegnungswirkung bereits einen zukunftsweisenden Kern in sich trägt, ist nicht zu ersetzen. Und dennoch: Seit Jahren arbeiten Gedenkstätten auch ohne Überlebende.
Die meisten Menschen, die zu uns kommen, sind nie einem Zeitzeugen oder einer Zeitzeugin begegnet. Es gibt tragfähige Konzepte, um in Zukunft Aufarbeitung und Erinnerung zu gewährleisten.
Das »Hier ist es gewesen« verbindet sich mit der persönlichen Auseinandersetzung.
Eines jedoch verdeutlichen die in der Pandemie notwendigen Kontaktbeschränkungen in jedem Fall schmerzlich. Die Arbeit der Gedenkstätten basiert auf der Begegnung am Ort der Verbrechen. Das »Hier ist es gewesen« verbindet sich mit der persönlichen Auseinandersetzung. Fragen nach dem Leid der Opfer und der Motivation der Täter evozieren auch solche nach dem Respekt vor meinem Gegenüber, der Achtung von Vielfalt, dem Anderssein jeder individuellen Persönlichkeit.
Dass diese Würde jedes Menschen tatsächlich unantastbar ist, unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe, erschließt sich letztlich nur in der persönlichen Begegnung und nicht über Kacheln auf dem Bildschirm. Hoffen wir, dass uns die Pandemie die Notwendigkeit des respektvollen Miteinanders deutlich vor Augen führt – und den Reichtum, der dadurch entsteht.
Der Autor ist Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen.