Nachdem fast zwei Monate lang das Gemeindeleben nur virtuell stattfand, war der erste Gottesdienst in Person eine ganz besondere Erfahrung. Wir hatten vorab entschieden, den Freitagabend vor Kerzenzünden weiterhin per »Zoom« zu machen, um all denen, die nicht in die Synagoge kommen wollten oder konnten, weiterhin Gemeinschaft und Tefila zu ermöglichen.
Meine und unsere Gefühle waren sehr gespalten: Gemeinsames Gebet ist einer der Grundpfeiler des Judentums, und real zusammenzukommen, war immer die Basis unserer Synagogengemeinschaft. Beit Knesset heißt ja eben nicht »Haus des Gebets«, sondern »Haus der Begegnung« – meinen Sitznachbarn zu fragen, wie es ihm und seiner Familie geht, ist fast so wichtig, wie genau zu wissen, wo im Siddur wir gerade sind.
GESANG Dann standen wir im Großen Saal in der Oranienburger Straße, mit mehreren Zollstöcken, um die Stühle so zu verteilen, dass der Abstand von zwei Metern überall gegeben war, mit dem Ergebnis, dass in einem Saal, in dem an den Hohen Feiertagen mehr als 300 Menschen Platz finden, nur noch Platz für 24 Beter war.
In den Tagen vor dem ersten Gottesdienst besprachen wir vor allem auch die Frage, ob eigentlich gesungen werden darf, und das in einer Synagogengemeinschaft, die vom gemeinsamen Gesang lebt – laut Untersuchungen werden gerade beim Singen besonders viele Viren verteilt.
Es war eine gute Entscheidung, alle Mitwirkenden und auch die Beter vorab zu Zoom einzuladen, um uns auf die Abläufe einzustellen.
Wir entschieden, dass die Gemeinde nicht singt, sondern nur mitsummt, aber »Amen« antwortet. Es war eine gute Entscheidung, alle Mitwirkenden und auch die Beter vorab zu Zoom einzuladen, um uns auf die Abläufe einzustellen: mit Masken vorm Gesicht, klar markierten Wegen und Abstandhalten bei der Toralesung.
HOHE FEIERTAGE Der Gottesdienst war viel ruhiger, man könnte fast sagen, nachdenklicher. Bestimmte Teile des Gebetes, wo von Neschama die Rede ist, dem Lebensatem, erhielten plötzlich eine ganz besondere Bedeutung.
Wie geht es weiter? Wir werden bis auf Weiteres beides anbieten – sowohl real als auch virtuell. Inwiefern auch an den Hohen Feiertagen, darüber denken wir noch nach und sind dazu mit unserer Synagogengemeinschaft im Gespräch.
Die Autorin ist Gemeinderabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.