Im sachlichen, neutralen und distanzierten Duktus und mit dem Anspruch auf Objektivität stellen die Medien die Ereignisse dar. Politiker verurteilen die Taten, wahlweise kombiniert mit Beileidsbekundungen oder der Mahnung zur Besonnenheit. Business as usual. Doch wie werden die Ereignisse dargestellt? Was wird verurteilt? Und was wird eigentlich angemahnt?
Bei der Darstellung der Ereignisse in den Medien wird deutlich, dass erstaunlich wenig über den Charakter der Taten, ihren Kontext, die Täter und die Opfer berichtet worden ist. Das liegt nicht daran, dass all das nicht besprochen worden wäre. Es liegt daran, wie es besprochen worden ist.
»Angriff« Berichtet worden ist über den »Angriff« oder »Anschlag« in der Nähe einer Synagoge in einer »Siedlung in Ost-Jerusalem«. Der »Angreifer« eröffnete das Feuer, israelische Sicherheitskräfte »neutralisierten« ihn. Es habe sieben Tote gegeben. Am nächsten Tag gab es einen weiteren Angriff in Jerusalem. Ein 13-Jähriger Angreifer schoss in der Jerusalemer Altstadt Israelis.
Die beiden Angreifer, ihre Motive und die Rolle des Antisemitismus im Nahostkonflikt gehen in den üblichen Phrasen fast unter. Sie scheinen nicht in das Nahostkonflikt-Buzzwort-Bingo zu passen. Die Opfer scheinen ebenso wenig hinein zu passen.
Die Leser wissen immerhin, dass sie sich eben in einer Siedlung und damit dem Ermessen nach wohl an einem Ort aufgehalten haben, an dem sich Juden nicht aufhalten sollten. Was Rafael Ben Eliyahu, Asher Natan, Shaul Hai, Irina Korolova, llya Sosansky und Eli und Natali Mizrahi für Menschen gewesen sind, dafür gibt es keinen Platz oder kein Format.
Hinweis In vielen Berichten aber fehlt nicht der Hinweis, dass einen Tag vor dem Terroranschlag vor der Jerusalemer Synagoge eine Razzia israelischer Sicherheitskräfte in Jenin stattgefunden hat, bei der neun Palästinenser getötet wurden. Auch die Erklärung der Hamas, bei dem Terroranschlage handele es sich um eine Vergeltung dafür, findet in manchen Artikeln Erwähnung.
Die beiden Angreifer, ihre Motive und die Rolle des Antisemitismus im Nahostkonflikt gehen in den üblichen Phrasen fast unter.
Die Politik verknüpft das alles zur Gewaltspirale, an der Mahnungen, den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen, ihren Sinn erhalten. Auch der Papst durfte dabei nicht fehlen. Mit dem Appell zu Dialog und Frieden im Heiligen Land hat er dem Potpourri an Worthülsen noch eine weitere Note verliehen und beide Parteien in die Pflicht genommen.
»Holy Land«, so bezeichnete letztens ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation aus Deutschland den Staat Israel in einem Gespräch mit mir im Zug zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Er verwahrte sich dagegen, von Israel zu sprechen, weil er niemandem zu nahetreten wollte, und belehrte mich, man sollte ja aus der Geschichte lernen. Ein durchaus kreativer Ansatz, Israels Existenz zur Diskussion zu stellen und mit der deutschen Geschichte umzugehen. Ich denke, heute warnt auch er vor einer Gewaltspirale im Holy Land.
neuauflage Zur Neuauflage des Nahostkonflikt-Buzzwort-Bingos hat es nur wenige Auslassungen gebraucht. Bei dem Einsatz in Jenin sind sieben bewaffnete Kämpfer und zwei Zivilisten getötet worden. Dass es sich bei den Getöteten mehrheitlich um bewaffnete Kämpfer des Islamischen Dschihad, der Hamas und der Al-Aksa-Märtyrerbrigade, die bei einer Antiterroroperation und im Feuergefecht mit der israelischen Armee getötet wurden, und nicht ausschließlich um Zivilisten handelt, kaschiert allein die Benennung der Getöteten als »Palästinenser« in einigen Berichten.
Die beiden Attentäter, die gezielt israelische Juden ermordet haben beziehungsweise ermorden wollten, gehörten wohl keiner Terrororganisation an. Die Taten der »Lone Wolves« aber sprechen für sich. Und sie haben Anklang gefunden: In einigen palästinensischen Städten versammelten sich Jubelmassen zu Feuerwerk und Süßigkeiten. Ein weiteres Detail, das in der hiesigen Berichterstattung und den Stellungnahmen kaum Platz fand.
Die Autorin ist Professorin und Antisemitismusforscherin in Frankfurt.