Rabbinerin Lea Mühlstein

Gegen den britischen Ruanda-Plan

Da aufgrund von laufenden Gerichtsverhandlungen bisher noch kein Abschiebeflug stattfinden konnte, ist es noch nicht zu spät für die Regierung, das Richtige zu tun

von Rabbinerin Lea Mühlstein  15.09.2022 09:15 Uhr

Rabbinerin Lea Mühlstein Foto: Victor Shack

Da aufgrund von laufenden Gerichtsverhandlungen bisher noch kein Abschiebeflug stattfinden konnte, ist es noch nicht zu spät für die Regierung, das Richtige zu tun

von Rabbinerin Lea Mühlstein  15.09.2022 09:15 Uhr

Im Talmud (Bava Metzia 59b) lernen wir, dass die Tora uns 36-mal – manche Rabbinen sagen sogar 46-mal – davor warnt, dass wir den Ger, den Fremden, der mit uns lebt, nicht schlecht behandeln dürfen. An mehreren Stellen finden wir die Anweisung, dass der Fremde denselben Rechtsstatus wie wir genießen soll; dass wir mehr Verantwortung haben, als nur Misshandlung zu vermeiden; dass der Fremde dasselbe Wohlfahrtsanrecht wie ein jüdischer Bewohner hat; dass wir sogar so weit gehen müssen, den Fremden zu lieben.

Der Grund, den die Tora liefert, ist einfach: Das jüdische Volk weiß, was es bedeutet, fremd zu sein – eine historische Tatsache, die fast alle Juden aufgrund ihrer eigenen Familiengeschichte nachvollziehen können.

strömungen Die große Mehrzahl meiner rabbinischen Kollegen, darunter Vertreter aller religiösen Strömungen, sehen es deshalb wie ich als unsere religiöse Pflicht an, die Pläne der britischen Regierung zu kritisieren, Asylsuchende, die illegal in Großbritannien ankommen, nach Ruanda abzuschieben. Da es momentan praktisch keine Möglichkeiten gibt, legal nach Großbritannien einzureisen, um Asyl zu beantragen, würde eine Umsetzung der Pläne bedeuten, dass Großbritannien seine Grenzen komplett für Asylbewerber dichtmachen würde – eine Politik, die mit der Halacha in keiner Weise vereinbar ist.

Selbst der soeben zum König ausgerufene Charles III. kritisierte noch als Thronfolger privat die Pläne der Regierung.

Und wir sind mit unserer Kritik nicht allein. Der Erzbischof von Canterbury nutzte die Aufmerksamkeit, die seine Osterpredigt genießt, um ebenfalls den Protest der anglikanischen Kirche zum Ausdruck zu bringen. Selbst der soeben zum König ausgerufene Charles III. kritisierte noch als Thronfolger privat die Pläne der Regierung.

Meine rabbinischen Kollegen und ich haben nun die Wahl von Liz Truss zur neuen Premierministerin genutzt, um erneut mit einem Offenen Brief auf die Regierung Druck auszuüben, den Ruanda-Plan aufzugeben. Da aufgrund von laufenden Gerichtsverhandlungen bisher noch kein Abschiebeflug stattfinden konnte, ist es noch nicht zu spät für die Regierung, das Richtige zu tun.

Die Autorin ist Rabbinerin in London.

Meinung

Der AfD-Claqueur

Elon Musk hat sich als Unterstützer der AfD geoutet. Das sollte seinen Anhängern in Deutschland eine Warnung sein

von Michael Thaidigsmann  28.12.2024 Aktualisiert

Gastkommentar

Antisemitismus: Lücken im Strafrecht schließen!

Im Kampf gegen Judenhass darf es nicht bei rechtlich unverbindlichen Appellen bleiben

von Volker Beck  23.12.2024

Meinung

Der PEN Berlin und die Feinde Israels

In der Schriftstellervereinigung konnte eine Resolution BDS-naher Autoren gerade noch abgewendet werden. Alles gut also? Nicht wirklich

von Lorenz S. Beckhardt  20.12.2024

Glosse

Kniefall 2.0

Ist Markus Söder jetzt alles Wurst oder erfüllt er nur die Erwartungen der jüdischen Gemeinschaft?

von Michael Thaidigsmann  19.12.2024

Tobias Kühn

Glühwein und Judenhass

Nach einem »Antikolonialen Friedensweihnachtsmarkt« in den Räumen einer Darmstädter Kirchengemeinde sollten die Bischöfe Klartext reden

von Tobias Kühn  18.12.2024

Sebastian Engelbrecht

Gaza und die Opferzahlen der Hamas

Die palästinensische Terrororganisation instrumentalisiert die Anzahl der Getöteten, um die politische Stimmung zu ihren Gunsten zu beeinflussen

von Sebastian Engelbrecht  17.12.2024

Daniel-Dylan Böhmer

Im Zweifel für die Sicherheit

Israels Angriffe auf Syrien waren trotz fehlender völkerrechtlicher Legitimation richtig, denn die Giftgasbestände im Land bedeuteten eine konkrete Gefahr für den jüdischen Staat

von Daniel-Dylan Böhmer  17.12.2024

Kommentar

Die UNRWA ist Teil des Problems - und nicht seine Lösung

Die UNRWA ist Geschichte. So wollte es eine breite Mehrheit in der Knesset. Dieser Schritt war überfällig, berechtigt - und dennoch falsch. Zumindest jetzt

von Georg M. Hafner  16.12.2024 Aktualisiert

Meinung

Wenn Social Media zur Gefahr für die Demokratie wird

Politik und Plattformbetreiber müssen konsequent gegen Desinformation und Hetze vorgehen

von Anna Staroselski  12.12.2024