Jens-Christian Wagner

Gedenken geht überall – auch in Corona-Zeiten

Jens-Christian Wagner Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Fast eine Million Schülerinnen und Schüler besuchen in normalen Jahren die KZ-Gedenkstätten in Deutschland und werden dort pädagogisch intensiv betreut. Und fast alle jungen Menschen besuchen mittlerweile mindestens einmal in ihrer Schulzeit eine Gedenkstätte. Eigentlich. Denn seit Beginn der Corona-Pandemie haben kaum noch Besuche von Schulklassen in Gedenkstätten stattgefunden, und seit November 2020 sind die Gruppenbetreuungen in den Gedenkstätten vollständig ausgesetzt.

Selbst wenn sie in einigen Wochen wieder möglich werden sollten, ist kaum zu erwarten, dass die Schulklassen dann gleich in die Gedenkstätten strömen, denn erst einmal muss eine Menge Unterrichtsstoff nachgeholt werden. Es ist also zu befürchten, dass es für mindestens zwei Schuljahrgänge mehrheitlich keine Gedenkstättenfahrten geben wird.

MEHRWERT Nun ließen sich sicherlich manche Inhalte durch Online-Angebote ersetzen. Aber: Der eigentliche Mehrwert des Besuches in den Gedenkstätten liegt darin, dass es sich um historische Orte handelt, die die Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar machen – als vielschichtige und komplexe Sachquellen und, mehr noch, als Beweismittel.

Die NS-Verbrechen beschränkten sich nicht auf Orte wie Buchenwald, Dachau oder Bergen-Belsen.

Die Gedenkstätten stehen damit für die wissenschaftlich begründete Glaubwürdigkeit der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Gerade jetzt, wo sich im ideologischen Sumpf um »Querdenken« und Co. antisemitische Verschwörungslegenden rasant verbreiten und der Geschichtsrevisionismus durch geschmacklose NS-Vergleiche à la Jana aus Kassel neuen Auftrieb erhält, ist das wichtiger denn je.

Was also tun? Wenn Gedenkstättenfahrten nicht möglich sind, sollten Lehrkräfte wenigstens die »kleinen« Orte der NS-Verbrechen aufsuchen und mit ihren Schülerinnen und Schülern deren Geschichte erforschen: das ehemalige »Judenhaus« nebenan oder das ehemalige Zwangsarbeiterlager in der Nachbarschaft. Geschichte zum Anfassen gibt es überall, denn die NS-Verbrechen beschränkten sich nicht auf Orte wie Buchenwald, Dachau oder Bergen-Belsen.

Der Autor ist Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

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